»Die Welt eine Schreibe« – Der Wortwerker Bert Papenfuß ist tot

Bert SW

von Jürgen Schneider

„Mein Lieblingspreis wäre der Franz-Jung-Preis“, sagte Bert Papenfuß einst anlässlich der Zuerkennung des F.-C.-Weiskopf-Preises.1 Den Franz-Jung-Preis hat er nicht bekommen, denn es gibt keinen Preis, der nach dem Protagonisten der Literaturrevolte, Expressionisten, Dadatrommler, Revolutionär, Wirtschaftsanalytiker, Flüchtling, Deserteur, Börsenkorrespondenten, Meuterer, Agitator und Bearbeiter des Scheiterns benannt ist.

In seinem Text motten zu unsicherheit & eitelkeit allen staates (arbeitsversion)2 aus den 90er Jahren schrieb Bert: »seitdem wir vor nun nahe zu 500 jahren / die eskalation von unserer seite zurückgenommen haben, fragen wir uns warum?« Die Frage konnte er zuletzt nicht mehr beantworten. Er, dem es an Worten nie fehlte, an nie gehörten und unerhörten, lag verstummt im Krankenbett, konnte lediglich Zeichen geben mit den Augen und der linken Hand sowie durch Kopfnicken. Er starb am Samstag, 26. August 2023, in der Parkklinik Berlin-Weißensee.

Aus den Feuilletonstuben der Blätter für die höheren Stände (& Ständer) kamen Nachrufe von jenen »ausgemachten Staatskriechern« (Sepp Fernstaub), die Bert zu Lebzeiten geflissentlich ignorierten.3 Papenfuß sei ein »Dichter für Biertrinker« gewesen, ließ eine Medienfunz ihre Schampus-Schlürfer nun wissen. Die abfällige Bezeichnung »Revoluzzer« wurde gleich mehrfach bemüht. Und ein Paladin der großen BRD-Angepasstheit nannte Bert einen »Lebenskünstler im kleinen Underground der DDR«. Zerfällt jedoch ein Schreiber wie Martin Walser, der »Jahrhundertschriftsteller« (ZDF), im deutschnationalen Sumpf zu Mulch, packen die traurigen Nachrufprosaiker der »Leitmedien« die Lobeskeule aus: »Es gab keinen wahrhaftigeren Schriftsteller« (SZ) als diesen »Mann, der Deutschland war« (Die Zeit).

Im retrograden Literaturkanonbetrieb ist ein Bert-Papenfuß-Preis ebenfalls nicht vorgesehen.4 Und ihren Frühstückslesern werden die Schmocks der »Qualitätsmedien«, denen es an jeglicher Kontelligenz5 mangelt, Papenfuß’sche Sätze wie den folgenden auf keinen Fall zumuten: »Die direkte Aktion ist eine Wohltat des Ausübenden, Kulturkampf hierbei Selbstverteidigung und Absicherung der Entspannung, die uns Deckung gibt und bei der Stange hält, an der keine abgedroschene Fahne weht, sondern das Banner des Chaos, das wir verkörpern.« »Jeder Anschlag gelingt«, streckte sich das Papenfuß’sche Farbband. »Ich bin Anarchist«, stirnerte und sexpistolte Bert gegen »das gesocks an hülfsbullen, blockschwarten, gerichtsbrettbohrern & sonstige kontrollorganmetastasen«.

Aus dem Text motten zu unsicherheit & eitelkeit allen staates (arbeitsversion) sei der erste Teil zitiert, überschrieben: »prolog auf dem schirm«

»der schnaps ist kurz,
doch das bier ist lang«

genossen, unterdruß im unterschlupf?
kameraden, verrat ist unaufhaltbar; kollegen,
lassen wir uns nicht lumpen: alles wird teurer,
wir aber, im einklang mit unserer zielgruppe,
senken unsere preise: das kapital ist machbar,
herr nachbar, »big bank take little bank«:
bekannt durch fresse, buschfunk, rundflunk &
teleflax: sarg discount christburger bietet an:
selbstbestattungen aller arten, erledigung
aller formalitäten, sämtliche pietätsartikel.
drucksachen, blumendekoration, heraldische
elemente, überurnen, memoiren, literarischer
nachlaß, copyright-probleme, auf wunsch
hausbesuche: sargmodelle für feuerbestattung
ab 1.398,00 dm, massiv windflüchtereiche:
supersparmodell für erdbestattung, typ
»holger meins« ab 123.456,78 dm, massiv
kiefer, bleiummantelt: seebestattung in
piratenkostümierung (zuzüglich feuer-
bestattung & salutschießen) ab 2.634,55 dm:
in den institutskosten enthalten: sarg,
deckel, kissen, hemd, gaspistole, fährgeld,
1 expl. »grundriß der verkleinerung des
geldes«, lange marschverpflegung, telefon-
geld, sixpack, kondom-set, tätowierung &/oder
einbalsamierung der/des verblichenen, des-
infektion, strafkuß, open-air-konzert
der »hangdogs on the anvil« (bei schönem wetter draußen):

»unten im bunker
pulsiert das leben
unten im bunker
wirst du alles geben«

in den institutskosten nicht enthalten,
aber auf wunsch, & stark preisgemindert,
arrangierbar: eine grabansprache, die den
beißenden hohn des unverbesserlich ungefügigen
unvolx akzentuiert, weiterhin arrangierbar;
zurücknahme der taufe durch ein ritual am
weihbecken auf dem lustgarten, anschließend
eine paradepromenade in einem trabananabant
cabriolet: erforderlich sind: personalausweis,
geburtsurkunde, führerschein, heiratsurkunde,
scheidungsurteil, steckbrief, krankenschein-
heft, geldkarte, weiterhin sterbeversicherungs-
police, grabkarte & ggf. grußadressenliste:
fremdkosten nicht enthalten: extrawürste:

»der, der schlaucht
auch feuer braucht«

alles jubelt außer rand und band
das sterben hat sich selbst zum gegenstand
& ist somit unseres unterfangens unterpfand (…)


1) Jürgen Schneider, Gespräch mit dem Dichtwerker Bert Papenfuß-Gorek: »Mein Lieblingspreis wäre der Franz-Jung-Preis…,« in: Freitag, 7. Juni 1991, S. 20/21.
2) Fotokopie (undatiert), mit handschriftlichen Korrekturen von Bert Papenfuß. Der Text wurde erstveröffentlicht unter der Überschrift ›prolog auf dem schirm‹ in: Bert Papenfuß, Mors ex Nihilo. – Berlin: Druckhaus Galrev, 1994.
3) »Staat sei Undank bin ich dennoch alt geworden und habe Einblick gewonnen.« Aus: Bert Papenfuß, Ballast, in: Rembert Baumann (Hrsg.), ZWEIFEL-Jahrbuch 2023. – Berlin: Auriga, 2023, S. 83.
4) »[Steckt] euch diese ganzen widerlichen aufoktroyierten Jahrestage und Preisverleihungen in den Arsch, die der Vermarktung von Ladenhütern dienen und der Lobpreisung von Staatskriechern. (…) Die westliche Wertgemeinschaft kann keinen Wert vermitteln, / lediglich den Preis, für Literaten reicht auch irgendein Preis.« Aus: Bert Papenfuß (Hrsg.), Sÿstemrelevanz und Lumpenïntelligenz. Schriften aus dem Vorlaß von Sepp Fernstaub. – Berlin: Quiqueg, 2020, S. 44 u. 62.
5) Zu Kontelligenz s. ibid., S. 36, Anmerkung 42.


Dieser Nachruf erscheint auch in der nächsten Abwärts!-Ausgabe (Nr. 49).

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