Bernd-Rainer Barth, Werner Schweizer

Der Fall Noel Field – Band 1

Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa – Gefängnisjahre 1949-1954

arte EDITION / Herausgegeben von Bernd-Rainer Barth und Werner Schweizer, kommentiert und übersetzt von Bernd-Rainer Barth / Mit Vorworten von George H. Hodos und Hermann Field und der DVD des Films von Werner Schweizer: »Noel Field – Der erfundene Spion« / In Kooperation mit ARTE Deutschland TV GmbH, ARTE EDITION, Hardcover, Leinen, 982 Seiten, 42 Fotos u. Dokumente, Fadenheftung, 2005

ISBN 978-3-86163-102-6

44,80 

inkl. 7 % MwSt.

ggf. zzgl. Versandkosten

Lieferzeit: max. 3-4 Werktage

Vorrätig

Den Zugang zu den Zeitzeugen und Archiven erschloß zuerst eine Filmrecherche von Werner Schweizer. Entstanden ist dabei der Film »Noel Field – Der erfundene Spion«. Die erstmalige, vollständige und kommentierte Edition der überlieferten Quellen durch Bernd-Rainer Barth zeigt eine Nahaufnahme des Denkens und Handelns dieser Generation kommunistischer Kämpfer, Täter und Opfer, wie sie noch nie vorlag.

Noel Field - der erfundene Spion
Noel Field - der erfundene Spion
Bei Klick wird dieses Video von den YouTube Servern geladen. Details siehe Datenschutz.

 

//

»Barth und Schweizer haben den sog. Field-Komplex präzise rekonstruiert und die ihn umgebenden Legenden identifiziert. Zugleich dokumentierten sie ein Beispiel der Praxis der Schauprozesse und ihrer Konstruierung als Machtmittel einer politischen Elite mit ihrer in der Regel anonymen Erfüllungsbürokratie. Damit griffen sie ein traumatisches Phänomen für Kommunisten auf, das nicht einfach auf den Begriff des Stalinismus reduzierbar ist.
Barth und Schweizer haben ein Standardwerk vorgelegt, das sowohl für die Historiographie als auch für die Sozial- und Politikwissenschaften sowie für die Psychologie von großem Kenntnis- und Erkenntniswert ist.«

Aus: Dr. rer. pol. Bodo Wegmann: „Machen Sie Aussagen!“, „Machen Sie Angaben!“ Noel H. Field. Eine zentrale Figur der Schauprozesse in Osteuropa, Berlin, April 2007.

Bernd-Rainer Barth in Berliner Zeitung v. 24.01.04
Ein groß gewachsener Amerikaner, geheimer Gefangener der ungarischen Staatssicherheit, sitzt in einer Budapester Gefängniszelle und schreibt einen Brief. Obwohl erst fünfzig Jahre alt, ist sein Haar bereits schlohweiß – Folge der wochenlangen Folterungen in jenem Sommer 1949, als er in Prag gekidnapt wurde und hinter dem Eisernen Vorhang verschwand. Es ist der 18. März 1954. Er ist aufgewühlt. Ungewohnt liegt die Feder in seiner Hand. Nach fünf Jahren Einzelhaft, völliger Isolation von der Außenwelt und erzwungenem Schweigen hat er sich durch Selbstmorddrohungen und Hungerstreiks die Erlaubnis erkämpft, einen „Brief an die Partei“ zu schreiben, um zum ersten Mal seit seiner Verhaftung im Mai 1949 seine Lebensgeschichte wahrheitsgetreu zu schildern und seine Unschuld zu beweisen. Noel Haviland Field, so der vollständige Name des Amerikaners, wendet sich mit diesem Brief an die sowjetische Parteiführung: „Ich schreibe in einem Budapester Gefängnis, in welchem ich mich seit dem 11. Oktober 1949 in isolierter Geheimhaft befinde (ohne Verurteilung). Der Zweck dieses Schreibens ist nicht meine Befreiung. Denn erstens ist mein Leben (im weiteren Sinne) derart zerstört, dass die ,Freiheit – im Alter von 50 Jahren – nur noch wenig Verlockendes bietet. Und zweitens (und das ist das Entscheidende) bin ich mir wohl bewusst, dass die volle Wahrheit über meinen ,Fall unter den bestehenden internationalen Bedingungen nicht an die Öffentlichkeit (besonders die feindliche) dringen darf, da sie nur den Imperialisten und Kriegstreibern von Nutzen sein kann. Als Kommunist wäre es meine selbstverständliche Pflicht, in der Öffentlichkeit zu schweigen, aber es ist klar, dass die Partei sich in einer so gefährlichen Sache nicht auf mein garantieloses Ehrenwort verlassen kann und darf. … “ Dieser „Fall“ ist eine der seltsamsten Geschichten aus dem Kalten Krieg, über die bis heute nur wenig Gesichertes bekannt wurde: die Affäre um den angeblichen amerikanischen Superspion Noel Field. Sie war der Auftakt und die Klammer für jene Kette blutiger Schauprozesse und Parteisäuberungen, die zwischen 1949 und 1955 in den osteuropäischen Hauptstädten inszeniert wurden und in deren Folge sich der Terror, etwa in Ungarn, nicht mehr nur gegen die kommunistischen Gründungsväter des Regimes richtete, sondern immer größere Teile der Gesellschaft erfasste. Wie begann die Field-Affäre? Im heißen Sommer des Jahres 1949 – mitten im Kalten Krieg – verschwindet eine amerikanische Familie spurlos hinter dem „Eisernen Vorhang“. Zunächst war im Mai 1949 der ehemalige europäischer Leiter des amerikanischen Flüchtlingshilfswerkes „Unitarian Service Committee“, Noel Field, aus einem Hotel in Prag verschwunden. Als seine deutsche Frau Herta, aus der Schweiz kommend, und sein Bruder Hermann, der als Architekt in den USA arbeitet, mit Nachforschungen beginnen, erleiden sie im August 1949 dasselbe Schicksal. Hermann Field war zuletzt am Flughafen in Warschau beim Besteigen einer Maschine nach Prag gesehen worden, wo er jedoch nie ankam. (Er wurde in Warschau verhaftet und fünf Jahre lang ohne Prozess in einem Kellerverließ bei Warschau gefangen gehalten.) Herta Field lockte man unter dem Vorwand nach Bratislava, ihr Mann befinde sich dort in einem Krankenhaus, nachdem die CIA einen Anschlag auf ihn verübt habe. Sie wird an der Grenze den ungarischen Staatssicherheitsorganen übergeben. Alle drei bleiben für mehr als fünf Jahre verschwunden, Nachforschungen der Familie, später auch von offiziellen amerikanischen Stellen, sind ergebnislos. Vier Monate später, im September 1949, taucht der Name Noel Field wieder auf: losgelöst von der realen Person wird er im Budapester Prozess gegen den ehemaligen ungarischen Außenminister Laszló Rajk zur Fiktion des „amerikanischen Meisterspions“ aufgebaut, der sich bereits während des Krieges in die kommunistische Bewegung eingeschlichen habe. Mit den Geldern und Lebensmittelpaketen seines Hilfswerks habe er gezielt kommunistische Emigranten unterstützt, um ein Abhängigkeitsverhältnis zu schaffen, welches er später zur Anwerbung für den amerikanischen Geheimdienst benutzte – so die Kernthese der Prozesskonstruktion. Im Budapester „Musterprozess“ wurde das Phantom Noel Field zum Bindeglied zwischen imperialistischer und titoistischer Unterwanderung des kommunistischen Lagers. Wie schon in den sowjetischen Prozessen der 30er Jahre fand in den Prozesskonstruktionen das Prinzip der „Kontaktschuld“ Anwendung: Es genügte bereits, die stigmatisierte Person nur zu kennen, um sich auf der Anklagebank wiederzufinden. Wie die amerikanische Journalistin Flora Lewis treffend schrieb, ist Noel Field „so etwas wie der Träger eines unsichtbaren, heimtückischen Bazillus gewesen, den er unwissentlich auf alle übertrug, die in seine Nähe kamen. Die Befallenen gaben die Krankheit unabsichtlich weiter, und der Name Field wurde ein Synonym für Angst.“ Bereits vor seinem Verschwinden in Prag waren im Westen Meldungen aufgetaucht, wonach Noel Field vermutlich Kommunist sei, möglicherweise sogar ein sowjetischer Agent – was den „Fall Field“ noch verwirrender machte. Noel Field und seine engsten Familienangehörigen wurden zu prominenten Opfern des Kalten Krieges. Im Gegensatz zu vielen ihrer Freunde überlebten die Fields. Nach seiner Entführung aus Prag im Mai 1949 war Noel Field in Budapest wochenlang gefoltert worden, er brach zusammen und unterschrieb einige der konstruierten „Geständnisse“. Doch dann widerrief er noch im Juli 1949 diese Falschaussagen und blieb bei dieser Haltung, trotz weiterer Drohungen. Sein Fall wurde daraufhin von der so genannten „Verschwörungsangelegenheit Laszló Rajk“ getrennt und aus der unmittelbaren Prozessvorbereitung herausgenommen, er selbst nach dem Rajk-Prozess in ein anderes Gefängnis überführt. Nach Stalins Tod 1953, nach der Einführung des „Neuen Kurses“ in Ungarn und nach den ersten Enthüllungen über den stalinistischen Terror wurden die Fields Ende 1954 freigelassen und entschädigt. Doch hier nahm die Geschichte um Noel Field eine weitere ungewöhnliche Wendung: Während Hermann Field aus Warschau zu seiner Familie in den Westen ausreisen konnte, entschieden sich Noel und Herta Field, im Land ihrer Folterer um politisches Asyl zu bitten, was ihnen im Dezember 1954 gewährt wurde. Seitdem rissen die Spekulationen in der westlichen Öffentlichkeit nicht ab. War Noel Field ein Doppelagent? Ein Überläufer? Ein Agent provocateur, der seine Freunde verriet? Er wurde mit der Zeit – gerade wegen des Mangels an authentischen Informationen – zu einer Art „mythischer Figur“ des Kalten Krieges, zur Projektionsfläche für Verschwörungstheorien, zum Ausgangspunkt für positive wie negative Legendenbildungen in Ost und West. Allen Dulles, der ehemaliger Kollege Noel Fields im State Department, 1942 bis 1945 Leiter des amerikanischen Kriegsgeheimdienstes Office of Strategic Services in Bern und später CIA-Direktor, als dessen „rechte Hand“ Noel Field von der kommunistischen Propaganda ausgegeben wurde, beschrieb die Field-Affäre zwanzig Jahre nach den Ereignissen als eines der großen ungelösten Rätsel des Kalten Krieges: „Der Fall der verschwundenen Fields ist noch immer von einem Schleier des Geheimnisses umgeben, und es ist durchaus möglich, dass man niemals die volle Wahrheit erfahren wird.“ Auf die Schauprozesse in Budapest und Prag eingehend schreibt der pensionierte CIA-Direktor weiter: „In diesen Prozessen wurde Field als amerikanischer Spion ,entlarvt , obwohl ich sicher bin, dass er ein sowjetischer Agent gewesen ist.“ Wer war Noel Field wirklich? Seit der teilweisen Öffnung osteuropäischer Archive fällt jetzt etwas mehr Licht auf die Geschichte des Mannes, der später selbst einmal über sich sagte: „Wenn es mich nicht gegeben hätte, man hätte mich erfinden müssen.“ Kaum ein anderer Lebenslauf bot so viele Angriffspunkte und Möglichkeiten für die Konstruktion einer „großen Verschwörung“ gegen die kommunistische Weltbewegung wie der seinige. Es bedurfte nur geringfügiger Manipulationen, um an sich richtige Tatsachen in falschem Licht erscheinen zu lassen. Aus einer angesehenen amerikanischen Quäkerfamilie stammend, wurde Noel Field am 23. Januar 1904 in London geboren, wuchs jedoch mit seinen vier jüngeren Geschwistern in Zürich auf. Der dortige Schulbesuch begründete auch die Vielsprachigkeit Noel Fields. Nach dem frühen Tod des pazifistisch eingestellten Vaters, eines Biologen, übersiedelte die Familie 1922 in die USA. Der hoch begabte Noel absolvierte sein Studium an der renommierten Harvard Universität in kürzester Zeit (Abschluss in Internationalem Recht) und trat nach einem daran anschließenden Jahr Sozialarbeit 1926 in den Dienst des US-Außenministerium. Er absolvierte die „Foreign Service School“ in Washington D.C., wohin er frisch vermählt mit seiner deutschen Frau Herta zog, und begann im Frühjahr 1927 seine berufliche Laufbahn im State Department. Als Mitarbeiter der Westeuropa-Abteilung war er vornehmlich mit Abrüstungsaufgaben und mit der Auswertung von Berichten über den Völkerbund beschäftigt. Die Jahre im State Department (1926-1936) bezeichnete Field im „Brief an die Partei“ als seine allmähliche „Entwicklung vom pazifistischen Idealisten zum militanten Kommunisten“. Bereits in der Schweiz hatte er versucht, eine internationale pazifistische Bewegung zu gründen. Er befreundete sich in Washington mit verschiedenen links eingestellten New-Deal-Intellektuellen, wie Laurence Duggan oder Alger Hiss. Eine Freundschaft verband ihn auch mit einem jungen Ehepaar, beide Redakteure der KP-Zeitung „Daily Worker“. Gelegentlich veröffentlichte er dort unter einem Pseudonym einen Artikel, doch litt er zunehmend unter dem, was er selbst sein Doppelleben nannte. Er träumte mehr und mehr von einem radikalen Bruch mit seiner bisherigen Existenz und dem offenen Eintritt in die Kommunistische Partei. Genau zu diesem Zeitpunkt traten die Talentjäger des sowjetischen Auslandsnachrichtendienstes auf und brachten die Fields mit dem deutschen Emigrantenpaar Hede Gumperz und Paul Massing zusammen. Schnell entstand zwischen ihnen eine intensive Freundschaft. Die Massings arbeiteten schon seit längerem für den sowjetischen Nachrichtendienst NKWD und hatten den Auftrag, den aufstrebenden jungen Staatsbeamten anzuwerben. Doch Noel Field lehnte zunächst ab, zu groß waren seine Loyalitätskonflikte als Amerikaner. Erst Anfang 1935 willigte er ein, für die Sowjetunion nachrichtendienstlich zu arbeiten, beging jedoch kurz darauf einen schwerwiegenden Fauxpas: Seinem Freund Alger Hiss, der ihn für den Apparat des sowjetischen Militärgeheimdienstes werben wollte, gab er aus einem Impuls heraus zu verstehen, dass er bereits für einen anderen sowjetischen Geheimdienst tätig sei. Dennoch leistete er in der folgenden Zeit intensive und – in den Augen der Sowjets – offenbar erfolgreiche nachrichtendienstliche Arbeit. Doch kurz bevor er zum Leiter des Deutschland-Referats im State Department ernannt werden sollte, nahm Field eine Stelle im Völkerbund in Genf an, wohl auch, um sich von seinen inneren Zweifeln und Loyalitätskonflikten zu befreien. In Genf lieferte er weiter fleißig Berichte über die laufenden Arbeiten des Völkerbunds, deren nachrichtendienstlicher Wert allerdings eher gering gewesen sein dürfte. Alle seine nachrichtendienstlichen Vorgesetzten wurden später – wie Field es nannte – „zu Verrätern“. So wagte der hochrangige Geheimdienstfunktionär Ignaz Reiss angesichts der „Säuberungen“ in der Roten Armee und den Nachrichtendiensten als Erster den öffentlichen Bruch mit dem Regime Stalins. Er wurde unmittelbar darauf, im September 1937, von einem mobilen Mordkommando des NKWD in der Schweiz liquidiert. Erschüttert vom Tod seines Freundes Ignaz Reiss wechselte kurz danach ein weiterer hochrangiger Nachrichtendienstler und Kontaktmann Fields die Seiten: Walter G. Krivitsky. Nachdem dieser in den USA ein Aufsehen erregendes Enthüllungsbuch veröffentlicht hatte, fand man ihn 1941 erschossen in einem Washingtoner Hotelzimmer. Im Frühsommer 1938 reiste das Ehepaar Field mit einem Touristenvisum in die Sowjetunion, wo sie vom NKWD betreut und überprüft wurden. Auf Vorschlag ihrer Vorgesetzten und auf eigenen Wunsch wurden sie in Moskau als Geheimmitglieder der amerikanischen Partei registriert, aus Gründen der Konspiration erhielten sie darüber freilich keinen dokumentarischen Nachweis. Wie wichtig die nachrichtendienstliche Perspektive Fields gewesen sein muss, sieht man auch daran, dass er u.a. vom stellvertretenden Leiter des Auslandsnachrichtendienstes, Sergej Schpigelglas, persönlich betreut wurde (auch Schpigelglas wird bald darauf als „Volksfeind“ verhaftet und erschossen). Als dann auch noch die Massings, die vom NKWD ebenfalls zur Überprüfung nach Moskau beordert worden waren, aussteigen wollten – und wie durch ein Wunder noch einmal davonkamen – wurde Noel Field, wie es in einem russischen Dokument heißt, „als Agent konserviert“. Nach ihrer Rückreise in den Westen warteten die Fields vergeblich auf eine Kontaktaufnahme des NKWD. All diese Umstände ließen Noel Field später immer wieder in Situationen geraten, wo ihm die eigenen Genossen mit Misstrauen begegneten. 1941 nahm er ein Angebot an, in Südfrankreich ein kleines Hilfswerk der amerikanischen Unitarier aufzubauen, das „Unitarian Service Committee“ (USC). Zusammen mit seiner Frau Herta begann er zunächst in Marseille, später in Genf, das USC als Aushängeschild für eine – wie er es nennt – „bürgerlich getarnte Rote Hilfe“ zu benutzen. Mit diesem Hilfswerk rettete er im Laufe der nächsten Kriegsjahre hunderten kommunistischen Kadern, ehemaligen Spanienkämpfern in den Lagern Südfrankreichs und in der Illegalität das Leben. Aber auch anderen Flüchtlingen, darunter jüdischen Kindern, deren Eltern deportiert worden waren. Sein Name wurde so für viele Verfolgte und Gegner des NS-Regimes zum Symbol für Hilfe und Solidarität. Gelder des USC wurden für Fluchthilfeaktionen oder Waffenkäufe für Partisanen genutzt. So finanzierte Field auch einen Ausbruchsversuch aus der Festung Castres, mit dem die drei wichtigsten KPD-Funktionäre Franz Dahlem, Siegfried Rädel und Heinrich Rau befreit werden sollten. Streng getarnt baute er in der Schweiz eine „nationale Gruppenhilfe“ für die kommunistischen Emigranten verschiedener Länder auf. Für die KPD-Gruppe in der Schweiz fungierte er als Kurier in das unbesetzte Frankreich. Im Auftrag des ranghöchsten KPD-Funktionärs in der Schweiz, Paul Bertz (später eines der Todesopfer der Field-Affäre in der DDR) knüpfte er Kontakte zum Leiter des OSS, Allen Dulles, um von diesem Mittel für den Untergrundkampf kommunistischer Gruppen zu erhalten. Auf Bitten der ungarischen und jugoslawischen Emigrationsgruppe vermittelte er Kontakte zu Dulles. Besonders diese Kontakte wurden später in den Prozessen zu „Spionageverbindungen“ erklärt. Bei all diesen Aktivitäten blieb Noel Field immer unbestechlich und folgte – wie zahlreiche Dokumente belegen – als gläubiger Kommunist allen Wendungen der Parteilinie. Darüber berichteten der Moskauer Zentrale nach dem Krieg auch wahrheitsgetreu mehrere sowjetische Agenten, die zum Bekanntenkreis Fields gehörten. Auch die kommunistischen Emigranten der nationalen Gruppen hatten bei ihrer Heimkehr den jeweiligen Parteiführungen über Fields Aktivitäten wahrheitsgetreu Bericht erstattet. Doch seit dem Herbst 1949 war sein Name wie ein Fluch: Er wurde zur Inkarnation von Verrat, zum Synonym für den Feind, der sich hinter der Maske des parteitreuen Kommunisten verbirgt. Viele derer, denen er einst geholfen hatte und die nach dem Krieg zum Teil hohe Posten in ihren Heimatländern erhalten hatten, standen jetzt vor Gericht. In Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei bezichtigten sich führende kommunistische Funktionäre öffentlich, Agenten und Spione des „Klassenfeindes“ gewesen zu sein. Merkwürdigerweise trat aber der ab September 1949 in diesem Zusammenhang immer wieder genannte amerikanische „Hauptagent“ Noel Field in den Prozessen weder als Zeuge noch als Angeklagter in Erscheinung. Wie aus den Archiven des ungarischen Staatssicherheitsdienstes hervorgeht, hatte Parteichef Matyas Rakosi die Lawine Anfang des Jahres 49 losgetreten. Der ungarische Diktator, der sich als „treuesten Schüler Stalins“ feiern ließ, war zu dieser Zeit selbst unter Druck geraten. Er hatte von Meldungen nach Moskau erfahren, in denen ihm vorgeworfen wurde, den Kampf gegen den Trotzkismus nicht ernst genug zu nehmen. Er brauchte dringend einen Beweis seiner Wachsamkeit. Meldungen einer Quelle des ungarischen Militärgeheimdienstes in der Schweiz schienen ihm dafür geeignet. Sie besagten, dass der Amerikaner Noel Field, der während des Krieges Verbindungen zu ungarischen Kommunisten in der Schweiz hatte, weiterhin Kontakte zum US-Geheimdienst unterhalte. Geprüft wurde die Meldung nicht (Jahre später stellte sie sich als Falschmeldung heraus). Rakosi entwickelte aus dieser „Schweizer Spionageaffäre“ in mehreren Stufen, vermutlich zunächst ohne Absprache mit Moskau, das Konstrukt einer von Noel Field geleiteten, weit verzweigten amerikanischen Spionagegruppe innerhalb der ungarischen Parteiführung. Diese „amerikanische Variante“ wurde später auf sowjetische Initiative durch eine „jugoslawische“ ergänzt. Für jede Variante verhaftete man verschiedene Funktionärsgruppen und erfolterte passende Aussagen. Aus dem Chaos dieser „Geständnisse“ wurde der Text des Prozessprotokolls in der Strafsache „Laszló Rajk und Konsorten“ erstellt. In einer langen Sitzung legten im August 1949 in Moskau Rakosi und Stalin unter vier Augen die endgültige Fassung fest. Rajk und andere wurden im Herbst 1949 hingerichtet, Hunderte in weiteren Nebenprozessen verurteilt. Nach dem Muster der Moskauer Prozesse der späten dreißiger Jahre konstruiert, hatten diese Prozesse und „Parteisäuberungen“ disziplinierende, einschüchternde Wirkungen nach innen und verstärkten die damals auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs entfachte Kriegspsychose und Agentenhysterie. Ihre propagandistische Stoßrichtung war – neben dem „imperialistischen Klassenfeind“ – eindeutig gegen jene Parteiführung gerichtet, die sich seit 1948 der Kontrolle Moskaus entzogen hatte: Titos Rebellion gegen den sowjetischen Vormachtsanspruch in Osteuropa war eine Abweichung, die als Todsünde galt. Sie beschwor in den Augen Stalins die Gefahr der Nachahmung dessen, was man im Westen „Nationalkommunismus“ nannte. Diese Schauprozesse bilden in der Geschichte des osteuropäischen Kommunismus den letzten anschaulichen Beweis für die bereits seit den sechziger Jahren von dem Historiker Hermann Weber vertretene These, dass der Stalinismus die Einzige politische Bewegung der Neuzeit war, die mehr ihrer eigenen Führer, Funktionäre und Mitglieder selbst umgebracht hat, als das ihre Feinde taten. Noel Field überlebte isoliert in einer Budapester Gefängniszelle, im Bewusstsein, sie lebend nicht mehr verlassen zu können. Seine letzte Bitte formulierte er in dem schon zitierten „Brief an die Partei“. Das Ziel dieses Schreibens sei, so notierte er: „Erstens, die Partei zu bitten – demütig, aber inständig zu bitten – eine durchgreifende, gründliche, vorurteilslose Untersuchung und Revision des Falles ,Field und Genossen anzuordnen, um im Parteiinteresse die Wahrheit eindeutig festzustellen und allen noch lebenden und zu Unrecht bestraften oder verdächtigten Genossen (meinen früheren Freunden und Mitarbeitern) die Rückkehr ins Parteileben zu ermöglichen. Zweitens, durch entsprechende Maßnahmen … eine Wiederholung ähnlicher Fälle möglichst zu vermeiden. Und drittens, sei es zu meinen Lebzeiten oder wenigstens nach meinem Tode, meine Parteiehre und meinen kommunistischen Ruf wieder herzustellen … .“ Das Trauma der Haft und der Folter, das Bewusstsein, möglicherweise durch die von ihm erpressten Aussagen den Tod anderer Genossen verschuldet zu haben, ließen ihn für den Rest seines Lebens nicht mehr los. Eine tatsächliche – und das hieße öffentliche – Rehabilitierung hat Noel Field zu Lebzeiten für sich und andere Opfer zwar wiederholt gefordert, jedoch nicht mehr erlebt. So schrieb er im Sommer 1956 an das ZK der SED, nachdem ihm der Text des so genannten „Field-Beschlusses“ der SED vom August 1950 bekannt geworden war: „Ich stelle hiermit, als Mensch und als Kommunist, an die SED-Parteileitung die Forderung, diese ganze Angelegenheit gründlichst und schnellstens zu revidieren, und daraufhin ohne Verzug mich selbst und alle in meine Angelegenheit verwickelten deutschen Genossen ebenso öffentlich zu rehabilitieren, wie sie öffentlich verleumdet wurden.“ Eine Antwort auf diesen und einen weiteren Brief Fields blieb die SED schuldig. Seine innere Gebrochenheit, seine Verzweiflung und seine Zweifel (die nach der Niederschlagung des von ihm hoffnungsvoll begrüßten „Prager Frühlings“ zunahmen), verbarg er hinter der Haltung eines linientreuen Parteimitglieds. Schwer traumatisiert machte er – wie es in einem Bericht der amerikanischen Botschaft in Budapest hieß – den Eindruck „eines mit dem eigenen Lebensschicksal restlos unzufriedenen Einzelgängers, der nur noch darauf bedacht zu sein scheint, seinen kommunistischen Brotgebern gegenüber keinen Fehler mehr zu machen.“ Als er im September 1970 in Budapest starb, verkündete die ungarische Parteizeitung „Népszabadsag“ in ihrem Nachruf die Gewissheit: „Keine noch so schwere Schicksalsprüfung konnte Noel H. Fields Glauben an die Ideale des Sozialismus erschüttern.“

Weitere Artikel

COOKIE HINWEIS

Diese Webseite nutzt technisch notwendige Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzererfahrung zu ermöglichen. Zum Zweck der Zahlungsabwicklung können persönliche Daten an Dritte weitergegeben werden. Für mehr Informationen schauen Sie in unsere Datenschutzerklärung
Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Code Snippet ma-gdpr-youtube 1.5.0