Andreas Graf: Wunder gibt es immer wieder. Ankündigung eines Wechsels (S. 425) [Editorial]
Vor zwölf Jahren, 1996, zeigte Henryk Skrzypczak an dieser Stelle "den Wechsel einer Adresse" an. Das Impressum wies von da an das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin als institutionellen Träger der Zeitschrift aus.
Dieses Heft ist nun das letzte, das in der Obhut der Freien Universität erscheint. Doch damit stellt die IWK ihr Erscheinen beileibe nicht ein. Sie läuft nicht in einer Endmoräne aus. Wunder gibt es eben immer wieder. Mit dem nächsten Heft, der Nummer 1/2007, wird die Zeitschrift vom Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam patronisiert werden. Und das ist gewissermaßen die weltliche Form des Wunders. Die Sache tangiert es nicht, es ändert sich bloß der Rahmenzusammenhang.
In das Verdienst, die Realisierung dieses Lösungswegs ermöglicht zu haben, teilen sich viele, einige besonders – denen werden wir im nächsten Editorial ein Denkmal setzen. Pacta sunt servanda.
Im vorliegenden Heft diskutiert Markus Raasch am Beispiel der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien (LdG) die Handlungsspielräume des deutschen Exils während des Zweiten Weltkrieges, indem er nach der politischen Handlungsfähigkeit fragt. In der Tat nahm die LdG eine Ausnahmerolle im Spektrum der deutschen Exilorganisationen ein, da ihr als einziger Emigrantenvereinigung in Großbritannien Anhänger sozialistischer, christlicher, liberaler und seit Anfang 1942 auch kommunistischer Parteien und Gruppen angehörten. Raaschs methodischer Zugriff verharrt nicht auf der klassischen organisationsgeschichtlichen Ebene, sondern erweitert sie um sozial- und, wenn möglich, alltagshistorische Perspektiven.
Tilmann Siebeneichner konkretisiert die "Moralität der Gewalt", der Sorel in seiner Mythenlehre das Wort redet, im Hinblick auf eine kulturgeschichtliche Perspektive der kommunistischen "Kampfzeit". Dabei geht er vor allem der Frage nach, welche Wirkungsmächtigkeit der "Mythos der Gewalt" im Rahmen der Krise der Repäsentationen in der unmittelbaren Nachkriegszeit entfaltete.
Lars Amenda analysiert die Geschichte einer Denunziation des Deutschmalaien Franz Müller im nationalsozialistischen Hamburg und illustriert daran pars pro toto, wie der alltägliche und der staatliche Rassismus ineinandergriffen.
Aus den Akten der politischen Polizei referiert Ottokar Luban zwei bislang unveröffentlichter Reden Rosa Luxemburgs vom Sommer 1913 zum Thema des "Massenstreiks". Sie zeigen sie zum einen als polemische Rednerin und Publizistin und zum anderen als kluge Agitatorin, die ihr jeweiliges Publikum wirkungsvoll zu adressieren wußte.
Literaturkritische Miszellen – Ilko-Sascha Kowalczuk über Konrad H. Jarauschs "Umkehr" mit prinzipiellen Anmerkungen zur Zeitgeschichtsforschung und Andreas Knobloch über eine Chávez-Biographie – und Rezensionen beschließen das Heft.
Berlin, im April 2008
Weiterer Inhalt:
Markus Raasch: Handlungsspielräume des deutschen Exils während des Zweiten Weltkrieges. Das Beispiel der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien (LdG) (S. 427)
Tilmann Siebeneichner: Die Wirkungsmächtigkeit der Gewalt. Zu Georges Sorels "Mythos der Gewalt" in der politischen Kultur der frühen Weimarer Republik (S. 468)
Lars Amenda: "… ein deutsch-malaiischer Mischling". Eine Denunziation im nationalsozialistischen Hamburg (S. 489)
Ottokar Luban: Zwei unveröffentlichte Reden Rosa Luxemburgs vom Sommer 1913 zum Thema Massenstreik. Aus den Akten der politischen Polizei Berlin (S. 499)
Ilko-Sascha Kowalczuk: Der verrutschte Schlips des bärtigen Zollbeamten in Frankfurt. Anmerkungen zur Zeitgeschichtsforschung – "Die Umkehr" Konrad H. Jarauschs (S. 505)
Andreas Knobloch: Hugo Chávez (S. 512)
Neue Literatur
Wolfgang Engler, Unerhörte Freiheit. Arbeit und Bildung in Zukunft, Berlin 2007 (Hugo Velarde) (S. 517)
Klassiker der Geschichtswissenschaft. Hrsg. von Lutz Raphael. 2 Bde., München 2006; 50 Klassiker der Zeitgeschichte. Hrsg. von Jürgen Danyel, Jan-Holger Kirsch und Martin Sabrow, Göttingen 2007 (Ilko-Sascha Kowalczuk) (S. 518)
Klaus Große Kracht, Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen 2005; Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945. Hrsg. von Martin Sabrow, Ralph Jessen und Klaus Große Kracht, München 2003 (Ilko-Sascha Kowalczuk) (S. 522)
Klio ohne Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Hrsg. von Alojz Ivanisevic u. a., Wien u. a. 2002; Albanien. Geographie – Historische Anthropologie – Geschichte – Kultur – Postkommunistische Transformation. Hrsg. von Peter Jordan u. a., Wien u. a. 2003 (Ilko-Sascha Kowalczuk) (S. 525)
Inventar zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in den staatlichen Archiven der Bundesrepublik Deutschland. Reihe B: Überlieferungen der Flächenstaaten. Bd. 2: Überlieferungen aus der ehemaligen preußischen Rheinprovinz. Landeshauptarchiv Koblenz. Bearb. von Marli Beck u. a. Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. Bearb. von Dieter Lück, München 1998; Inventar zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in den staatlichen Archiven der Bundesrepublik Deutschland. Reihe B: Überlieferungen der Flächenstaaten. Bd. 3: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. Überlieferung aus dem ehemaligen Großherzogtum und dem Volksstaat Hessen. Bearb. von Manfred Kukowski, München 1998; Inventar zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in den staatlichen Archiven der Bundesrepublik Deutschland. Reihe B: Überlieferungen der Flächenstaaten. Bd. 4: Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Überlieferung aus der preußischen Provinz Brandenburg. Bearb. von Lorenz Friedrich Beck, München 1999; Inventar zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in den staatlichen Archiven der Bundesrepublik Deutschland. Reihe C: Überlieferungen der Stadtstaaten. Bd. 2: Staatsarchiv Hamburg. Teil 2. Bearb. von Klaus Weinhauer. Archiv der Hansestadt Lübeck. Überlieferung aus der Staatsverwaltung bis 1937. Bearb. von Otto Wiehmann. Indices. Staatsarchiv Hamburg. Teil 1 und 2, Archiv der Hansestadt Lübeck sowie Staatsarchiv Bremen. Bearb. von Christian Schädlich, München 1999 (Matthias Wagner) (S. 527)
Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1871 bis 1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006 (Dieter K. Buse) (S. 531)
Karl Heinz Jahnke, Für eine Welt ohne Krieg und Faschismus. Lebensstationen: Remscheid, Düsseldorf, Moskau, Berlin, Paris, Valencia. Artur Becker 1905 bis 1938, Frankfurt a. M. 2005 (Kurt Schilde) (S. 533)
Jürg Ulrich, Kamenev: der gemäßigte Bolschewik. Das kollektive Denken im Umfeld Lenins, Hamburg 2006 (Wladislaw Hedeler) (S. 535)
Sebastian Prüfer, Sozialismus statt Religion. Die deutsche Sozialdemokratie vor der religiösen Frage 1863-1890, Göttingen 2002 (Heiner Jestrabek) (S. 536)
Jürgen Mümken, Anarchosyndikalismus an der Fulda. Die FAUD in Kassel und im Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus, Frankfurt a. M. 2004; Helge Döhring, Syndikalismus im "Ländle". Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) in Württemberg (1918 bis 1933), Lich/Hessen 2006 (Hartmut Rübner) (S. 537)
Ulrich Linse, Ulmer Arbeiterleben vom Kaiserreich zur frühen Bundesrepublik, Ulm 2006 (Gudrun M. König) (S. 540)
Lars Amenda, Fremde – Hafen – Stadt. Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung in Hamburg 1897-1972, München und Hamburg 2006 (Peter Kuckuk) (S. 541)
Jason Lutes, Berlin. Steinerne Stadt, Hamburg 2003 (Hartmut Rübner) (S. 545)
Iris Wigger, Die "Schwarze Schmach am Rhein". Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster 2007 (Ulrich van der Heyden) (S. 546)
Uwe Danker und Astrid Schwabe, Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus, Neumünster 2005 (Gebhard Schultz) (S. 546)
Hans G. Adler, Theresienstadt 1941 – 1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Göttingen 2005 (Manfred Warnecke) (S. 548)
Antony Beevor, Der Spanische Bürgerkrieg, München 2006 (Frank Ettinger) (S. 549)
Zwischen Aufbruch und Abbruch. Die DDR im Jahre 1956. Hrsg. von Siegfried Prokop, Berlin 2006 (Matthias Wagner) (S. 552)
Jürgen Gottschalk, Druckstellen. Die Zerstörung einer Künstler-Biographie durch die Stasi, Leipzig 2006;
Hans Krech, Das letzte Jahr der DDR. Das Tagebuch eines Bürgerrechtlers aus Halle/S. (1988 – 1989), Berlin 2005 (Peter Feldman) (S. 553)
Karl Heinz Joepen, Rote Zelle, Ashram, Wall Street. Demonstrieren, Meditieren, Spekulieren. Von den 68ern zu den 86ern, Albeck bei Ulm 2003 (Hartmut Rübner) (S. 554)
Jahresinhaltsverzeichnis