Hilde Kramer

Rebellin in München, Moskau und Berlin

Autobiographisches Fragment (1900 – 1924)

PAMPHLETE Nr. 27, Herausgegeben von Egon Günther unter Mitarbeit von Thies Marsen, Karton, Fadenheftung, 264 Seiten, 28 Abbildungen, 2011

ISBN 978-86163-144-62

16,80 

inkl. 7 % MwSt.

ggf. zzgl. Versandkosten

Lieferzeit: max. 3-4 Werktage

Vorrätig

Hilde Kramer gehörte als 18-Jährige zum innersten Kreis der Akteure in den Münchener Revolutionsjahren 1918/1919. Sie nimmt von Anfang an teil an den Münchener revolutionären Ereignissen, arbeitet später als Mandatsträgerin und Sekretärin unmittelbar in der Räteregierung Leviné mit, wird als Verbindungsfrau im Januar 1919 nach Berlin geschickt, wo sie an Beratungen mit Liebknecht, Jogiches und Luxemburg teilnahm. Sie erlebt Höhepunkte wie Niederlagen der Revolution aus nächster Nähe, lernt Knief, Lotte Kornfeld, die Mühsams, Pol Michels, Pfemfert, Borodin u. a. kennen. Längeren Gefängnisstrafen entgeht sie durch ihre Nichtvolljährigkeit und die Sympathie, die ihr offener Charakter auf vielen Seiten des politischen Spektrums hervorruft. Schließlich wird sie als Stenographin 1920 für den zweiten Kongreß der Kommunistischen Internationale angefordert, wo sie mit einer einzigen russischen Kollegin sämtliche Debatten der vierwöchigen Beratungen aufzeichnen muß.

Das bislang ungedruckte Fragment ihrer Autobiographie umfaßt die Jahre 1901 bis 1924, es schildert ihre Kindheit u. a. bei reformpädagogisch orientierten Stiefeltern bis in jene revolutionsschwangere Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Es ist zugleich das Dokument eines selbstbestimmten Frauenlebens, dessen Wurzeln noch im wilhelminischen Deutschland liegen und dessen Radikalität in der Weimarer Republik nachhaltig beeindruckt. Hilde Kramer ist 1974 in England gestorben.

//

Ottokar Luban (Berlin) in The International Newsletter of Communist Studies XiX (2013), no. 26:

Wer dachte, dass zur sozialistischen Arbeiterbewegung des frühen 20. Jahrhunderts alle wesentlichen Zeugnisse von Beteiligten erschlossen bzw. veröffentlicht worden sind, wird durch die hier vorgelegten Biografiefragmente eines Besseren belehrt.

Das autobiografische Fragment der als blutjunge Kommunistin an der Münchener Räterepublik 1919 beteiligten Hilde Kramer wurde von einer Nachkommin Kramers dem Schriftsteller und Regisseur Egon Günther im Zuge seiner Veranstaltungen über den sozialistischen Kreis um die Familie Kaetzler im bayrischen Ort Riederau, zu der Kramer gehörte, übermittelt.2 Kramer hatte Mitte der 1960er Jahre auf Anregung von Familienangehörigen und Freunden mit der Niederschrift ihrer Erinnerungen begonnen, die sie wegen Krankheit und Tod (1974) nicht vollenden konnte.

Als Pflegekind in der Familie der engagierten Sozialistin Gabriele Kaetzler im bayrischen Riederau sowie als Teenagerin durch eine Lehrerin im Internat für soziale Fragen sensibilisiert, beteiligt sie sich an den revolutionären Ereignissen ab November 1918 in München, zunächst als

Demonstrationsteilnehmerin, dann als unbezahlte Typistin des Soldatenrates im Landtagsgebäude. Politisch schloss sich Kramer der kleinen Münchener Gruppe der „Internationalen Kommunisten Deutschlands“ an, die als unbedingte Befürworter der Errichtung einer sofortigen Räteherrschaft in scharfer Opposition zur Politik des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) standen. Hier genoss Kramer das Vertrauen der anderen Genossen, sodass sie sowohl für die Unterzeichnung eines IKD-Flugblattes für eine Demonstration als auch als Delegierte für die IKD-Tagung in Berlin im Dezember 1918 ausgewählt wurde. Die Aussagen über ihre eigenen Aktivitäten und die der Gruppe sind sehr
knapp gehalten, auch über die Konferenz in Berlin sowie über ein Treffen mit den Spartakusführern Karl Liebknecht und Leo Jogiches, um von ihnen Geld für die politische Arbeit der Münchener Gruppe aus dem vom sowjetischen Botschafter Joffe für die revolutionäre Tätigkeit hinterlassenen Fonds zu erhalten. Über die Vorgänge unter den Revolutionären während der Münchener Räterepublik gibt es wenig konkrete Einzelheiten in
Kramers Erinnerungen, lediglich einige relativ knappe Charakterisierungen von Erich und Zenzl Mühsam sowie von Eugen Leviné. Breiten Raum nimmt die Schilderung ihrer persönlichen Befindlichkeit und der Gestaltung ihres bohèmehaften Lebens einschließlich des Besuchs politischer Versammlungen ein, ohne dass dabei für den Historiker neue Erkenntnisse über die Münchener Räterepublik zu gewinnen sind.
Nach mehrfachen Inhaftierungen in München und Ausweisung aus Bayern kam Kramer mit Zwischenaufenthalt in Leipzig nach Berlin. Ihre relativ guten Englischkenntnisse verschafften ihr Übersetzungs- und Schreibaufträge für den Leiter des „West-Europäischen Büros der Kommunistischen Internationale“ James Reich, wobei die Kontakte in konspirativer Form über Reichs Frau Ruth Oesterreich abgewickelt wurden. Auf EmpfehlungTov’ja Akselrods, der Kramer aus der Zeit der Münchener Räterepublik kannte, wurde sie im Sommer 1920 von Karl Radek in Moskau als Sekretärin angefordert. Ihre erste Aufgabe bestand allerdings in der Protokollführung beim Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale sowie anschließend für das Exekutivbüro. Erst danach war sie für kurze Zeit auch für Radek tätig. Kramers Bericht gibt weitgehend lediglich persönliche Eindrücke wieder, ohne irgendwelche neuen Erkenntnisse zutage zu bringen. Allerdings sind ihre kurzen Beschreibungen der führenden Personen wie Lenin, Zinov’ev, Trockij und Bucharin durchaus interessant. 1922 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, dient sie in Berlin dem sowjetischen Abgesandten der Kommunistischen Internationale, Michail Borodin, für einige Monate als Sekretärin. Die Angaben, dass Borodin viele – von Kramer protokollierte – Gespräche mit den KAPD-Vertretern in verschiedenen Lokalen Berlins führte und häufig mit dem illegal in Berlin lebenden Radek – ohne Kenntnis der KPD-Führung – konferierte, ist dabei von Bedeutung. Bedauerlich ist, dass Kramer keinerlei Informationen über den Inhalt dieser Gespräche übermittelt. Nach dieser Berufsstation arbeitete sie als Übersetzerin im Verlag der Kommunistischen Jugendinternationale in Berlin, und nach seiner Verlagerung danach in Moskau. Dort heiratete sie den Verlagsmitarbeiter Edward Fitzgerald, einen britisch-irischen Kommunisten, kehrte aber nach Deutschland zurück, als sie von ihm ein Kind erwartete. Sowohl für den ersten wie für den zweiten Moskau-Aufenthalt werden viele interessante Eindrücke des Alltagslebens in Sowjetrussland wiedergegeben, wie überhaupt die Stärke dieses autobiografischen Fragments in den Schilderungen des Stimmungsmäßigen und Atmosphärischen liegt, während aufschlussreiche neue politisch-historische Inhalte bis auf bekannte äußere Abläufe kaum enthalten sind. Mit der Rückkehr Kramers nach Deutschland im Jahre 1924 bricht das Manuskript ab. Fünf Briefe der Autorin aus der Zeit von 1918 bis 1924 ergänzen und veranschaulichen ihre Berichte in der Teilbiografie, genauso wie eine Reihe von Fotos und Faksimiles.
Im Vorwort berichtet der Mitherausgeber Thies Marsen über die Entstehung des Buches und weist auf die Bedeutung dieser fragmentarischen Lebenserinnerungen hin. Egon Günther, der verdienstvolle Herausgeber, vervollständigt in einem Nachwort die Biografie Kramers, die nach schweren Jahren letztendlich im englischen Exil als Sozialwissenschaftlerin eine berufliche Erfüllung finden konnte. In einer generellen biografischen Ergänzung „Zu Hilde Kramers Biographie“ arbeitet Günther einige bedeutsame Aspekte von ihrer Biografie heraus. Ein Anhang mit einer „Chronik“, „Ausgewählter Literatur“ und einem „Personenregister“ vervollständigen die Publikation.

Weitere Artikel

COOKIE HINWEIS

Diese Webseite nutzt technisch notwendige Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzererfahrung zu ermöglichen. Zum Zweck der Zahlungsabwicklung können persönliche Daten an Dritte weitergegeben werden. Für mehr Informationen schauen Sie in unsere Datenschutzerklärung
Vielen Dank für Ihr Verständnis.