Henryk Skrzypczak: Anzeige eines Wechsels (S. 1):
Nehmen wir eines vorweg: Die Sache tangiert er nicht, der Wandel, von dem zu berichten ist. Es handelt sich lediglich um den Wechsel einer Adresse. Drei Jahrzehnte hindurch ist unsere „Korrespondenz“ in der Obhut eines wissenschaftlichen Gremiums erschienen, dessen internationale Reputation ihr in den Anfangsjahren wesentlich zugute kam, so wie sie ihrerseits später zum Ansehen dieser Gelehrtengesellschaft beizutragen vermochte. Seit Heft 1 nun des 32. Jahrgangs der IWK können ihre Mandatare sich nicht länger auf den angestammten Auftraggeber berufen. Wo bislang die Historische Kommission zu Berlin als institutioneller Träger firmierte, weist das Impressum einen anderen Rahmenzusammenhang aus. Ab der vorliegenden Ausgabe erscheint die Zeitschrift am Institut für Grundlagen der Politik des Fachbereichs Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin.
Mit dem Exodus aus dem „Mittelhof“ haben für die hauptsächlich Betroffenen Zeiten der perspektivischen Umkehr und einer zunehmenden Ungewißheit ihr Ende gefunden. Erste Besorgnisse, zu denen eine Evaluierung der Historischen Kommission durch den Wissenschaftsrat Veranlassung gab, schienen sich für den Bereich der IWK schon bald in nichts aufzulösen. Wie den Lesern im September 1992 mitgeteilt werden konnte, hatten die Gutachter unser Periodikum als „unverzichtbares Publikationsorgan“ anerkannt und sich dafür ausgesprochen, seine Herausgabe auch künftig zu sichern. Die gleichzeitige Empfehlung, den Aktivitätenradius der Historischen Kommission stark zu beschneiden, setzte dann aber Diskussionsprozesse in Gang, die schließlich das Weiterbestehen der Zeitschrift in ihren Fundamenten berührten: Im Votum eines neuen Gutachterkreises wurde der IWK mit dem Hinweis gedacht, sie könne vielleicht als Neue Folge, und zwar zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Preußen und seinen Nachbarländern fortgeführt werden.
In das Verdienst, die Realisierung eines solchen Konstrukts unterbunden und den jetzt beschrittenen Lösungsweg ermöglicht zu haben, teilen sich viele. Zunächst war es das ausnahmslos zustimmende Echo auf den Appell an den wissenschaftlichen Sachverstand, das dem Einspruch gegen die konzeptionellen Umgestaltungspläne stärksten Nachdruck verlieh. Der apodiktischen Entschiedenheit des Urteils international ausgewiesener Experten – „absurd“, „skurril“, „unfaßbar“ – mochte sich die wissenschaftspolitische Kompetenz nicht verschließen. Als Endergebnis dieser parteiübergreifenden Interventionen läßt sich ein heutzutage seltener Gleichklang von Wissenschaft, Wissenschaftspolitik und Wissenschaftsverwaltung verbuchen. Hierfür allen fördernd Beteiligten auch an dieser Stelle den herzlichsten Dank auszusprechen ist uns Pflicht und Bedürfnis zugleich.
Ein Name wenigstens sei stellvertretend und aus gutem Grunde erwähnt: Peter Steinbach. Beharrlich aufklärend und überzeugend argumentativ, hat er sich in den unterschiedlichsten Einfluß- und Entscheidungsbereichen als Anwalt dieser Zeitschrift durchzusetzen verstanden. Er vor allem wußte die Weichen in eine Richtung zu stellen, die mit der finanziellen Grundsicherung für ein ganzes Jahrzehnt auch den wissenschaftlichen Freiraum und die personellen Kontinuitäten der IWK garantiert. Wer sich solcherart verdient macht, braucht für Zumutungen nicht erst zu sorgen. Vielmehr hat er einzusehen, daß es seine Schuldigkeit ist, sich für diese Zeitschrift auch dauerhaft und einklagbar in die Pflicht nehmen zu lassen. Peter Steinbach hiervon zu überzeugen wird die Aufgabe der kommenden Monate sein.
Berlin-Dahlem, im Juli 1996
Weiterer Inhalt:
Michael Pittwald: Zur Entwicklung völkischen Denkens in der deutschen Arbeiterbewegung: der Nationalrevolutionär Ernst Niekisch (S.3)
Christopher Hausmann: August Winnig und die „Konservative Revolution“. Ein Beitrag zur ideengeschichtlichen Debatte über die Weimarer Republik (S.23)
Henryk Skrzypczak: Anspiel. Vorabdruck aus: Mission ohne Mandat. Der Fall Friedrich Stampfer (S.47)
Peter Russig: „Revolutionäre des Geistes. Michael Bakunin, Gottfried Semper, Richard Wagner und der Dresdner Maiaufstand 1849“. Ein Tagungsbericht (S. 76)
Johannes Klotz: „Freiheit oder Einheit. Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und die Folgen“. Bericht über ein Forum der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD am 14./ 15. März 1996 im Berliner Rathaus (S. 82)
Ludwig Eiber: Bibliographie, Ausstellungsprojekt und Kolloquium zur „Geschichte der Gewerkschaften in Bayern“ (S.88)
Forschungs- und Publikationsvorhaben
zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und angrenzender Gebiete (106). Bearbeitet von Franz Jean Frohn (S.93)