DAS PROBLEM IST, DASS DIE DDR SICH IMMER NUR VON IHRER ZUKUNFT AUS LEGITIMIERT,
äußerte Heiner Müller in einem Interview Anfang der sechziger Jahre kurz nach dem Verbot der „Umsiedlerin“. Ein Volk, das kurz zuvor gerade Millionen seiner Mitbürger umgebracht hatte, konnte/wollte seine Daseinsberechtigung nur begründen mit der Option auf eine „bessere“ Zukunft. Nicht das, was in den 40 Jahren DDR von Leuten getan oder gelassen wurde, war interessant (das Leben in der DDR galt immer als langweilig), sondern der Anspruch, unter dem da gewirtschaftet wurde. Und gerade dann, wenn es jemand darauf anlegte, die Verhältnisse – diese LANDSCHAFT EINER EWIGEN FREMDBESTIMMTEN KINDHEIT – so zu zeigen, „wie sie sind“, konnte er nicht umhin, diese Zerrissenheit in den Mittelpunkt zu stellen. In gewisser Weise gleicht der DDR-Bürger der Figur, mit der Platonow den Sowjetbürger der dreißiger Jahre beschrieben hatte: Mit beiden Beinen auf der Erde stehend, steckt er den Kopf bis zum Brustansatz durch die Himmelsscheibe und hält Ausschau nach dem Paradies.
Und gibt es für Dramatik einen lohnenderen Anlaß als Die-Minute-danach und Die-Minute-zuvor, in der (wie am 17. Juni 53 auch geschehen) die Frage gestellt wird, was ist das eigentlich für ein Himmel, der sich da über uns wölbt. Und was wird eigentlich aus einem Himmel, dem die Erde abhanden gekommen ist. Und gilt nicht auch noch heute, was Brecht einmal notierte, daß die Zukunft „in der Nähe der Fragmente zu finden ist.“
Lothar Trolle, März 2010
Lothar Trolles erstes, bis heute ungedrucktes Stück ging 1972 aus einer Wette hervor, die Thomas Brasch anbot: Wer schreibt schneller eine Komödie über den 17. Juni 1953? „Du schreibst über den 17. Juni auf dem Land und ich über den in der Stadt!“ Trolle gewann – mit einer Faust-Parodie, einem politischen Märchen über die ostdeutsche Zeit der Kollektivierung in der Landwirtschaft. Eine fulminante Auseinandersetzung des LPG-Vorsitzenden Greikemeier mit Geist, Zwang und Realität des Stalinismus in der DDR.