Bert Papenfuß

Haarbogensturz

Versuche über Staat und Welt

PAMPHLETE Nr. 5, mit 12 Grafiken von Thomas Platt, Karton, Fadenheftung, 155 Seiten. 2001

ISBN-10: 3-86163-112-1, ISBN-13: 978-3-86163-112-5

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»Womit wir, die Zukunft betreffend, jetzt schon
anfangen können, ist folgendes Gedankenkonstrukt:
Wir müssen nicht unentwegt dümmer tun, als wir sind –
um des lieben Populismus willen – und sollten hin
und wieder einfach mal das Maul halten, wenn alles
gesagt ist im Rahmen der höchstpersönlichen
Nachdenklichkeit.
Das Mutterschiff ist schließlich kein Parlament.«

 

 

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Laudatio von Florian Höllerer auf Bert Papenfuß

„Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Das Blau sei im Verlag ja schon vergeben, das Papenfuß-Blau, sagte neulich der Dichter Ulf Stolterfoht. Auf meine Frage, welche Farbe sein neuer »Fachsprachen«-Band bei Urs Engeler Editor denn haben würde. Dieses Papenfuß-Blau, das den Band Rumbalotte (erschienen 2005) umschließt und seit langem bereits die von Bert Papenfuß mitherausgegebene Zeitschrift Gegner, dieses Papenfuß-Blau ist an dem Ort, wo wir uns befinden, vielleicht am leichtesten so zu beschreiben: Man nehme das Blau Bayerns, »die Farben seines Himmels, weiß und blau« – und stelle sich das genaue Gegenblau vor. Ein maritimes Blau, dunkel, sehr dunkel: viel Seeräuberschwarz darin, viel Abgrund, Revolution und Anarchie: »dreckwasser, schwarzes / wasser, tiefes blut / hüftschwung, hirngespinst / unstaat oder kein staat // he ho sabberlatz / hier kommt frisches schwarz / prompt auf die kniescheibe / bei lebendigem leibe […]«, so der Beginn des Gedichts Schwarzes Blut. Es ist das Schwarz, es ist das Blau von Klaus Störtebeker, dessen Kampf gegen die Hanse, die gestrige und die heutige, den Band Rumbalotte durchzieht, an seiner Seite ein sozialrevolutionärer Eulenspiegel. Rumbalotte war ursprünglich als Rockoper geplant, es sind Gedichte aus den Jahren 1998-2002, mit Zeichnungen von Ronald Lippok.
»Rumbalotte« – was soll das? Was soll das heißen? In einer Rezension des Bandes las ich, »Rumba, dieser herausfordernde lateinamerikanische Tanz, gehe mit dem Vornamen Lotte eine Verbindung ein, der durch Goethes Werther und Thomas Manns Lotte in Weimar Eingang in die Literatur fand«. Nicht schlecht. Aufgeklärt wurde ich dann allerdings vom Stuttgarter Übersetzer, Autor (und Kuratoriumsmitglied) Joachim Kalka, dem ich von »Rumbalotte« erzählte: Ah – der alte Witz, schallte es gleich in mein verständnisloses Gesicht. Und auch wenn hier womöglich nicht der Ort für antiquierte, vulgäre Witze ist, sei er kurz erzählt, in der Kalkaschen Version (es gibt derer viele, wie ich inzwischen weiß): Tagschwester trifft Nachtschwester – Schichtübergabe – und berichtet von jenem bewegungsunfähigen Patienten, der sich das Wort
Rumbalotte auf den Penis habe tätowieren lassen. Rumbalotte? – fragt die Nachtschwester ungläubig und besieht sich das Ganze selber – in voller Länge, wie sich herausstellt. Da stünde nicht Rumbalotte, weiß sie am Folgemorgen der Tagschwester zu berichten, nicht Rumbalotte – sondern »Ruhm und Ehre der baltischen Flotte!« oder in einer Variante: »Ruhm und Ehre der baltischen Rotbanner-Flotte«.
Rumbalotte erweist sich als Galionsfigur eines poetischen Verfahrens, in dem Militärjargon und explizite Sexualität, Pathos und Jux, politischer und lexikalischer Furor ein explosives Gemisch bilden: das Gedicht – vermintes Gelände.
Das war schon 1990 so, als ich für die Zeitschrift PO&SIE zwei Gedichte von Bert Papenfuß-Gorek –Tantris in Tyrannos und Routine in die Romantik des Alltags – ins Französische übersetzte – Zeilen wie: »[…] die strebung / zur wölbung gemahnt, allen plattheiten zum trotz, / zu bankraub, zahnarztattacken, politischem kampf, / klar-schiff-machen, segel setzen, irrevolution, anker lichten, rache nehmen, genüsse nutznießen, / u.v.a.m.« 1990, das war aus meiner West-Berliner Perspektive eine Zeit, in der man zu Lesungen mehr aus Pflichtgefühl, Edelmut oder Masochismus ging. Autoren vermieden es, sich Blößen zu geben: etwa Augenkontakt mit den Zuhörern aufzunehmen oder beim Lesen die Zähne zu zeigen.
Literatur-Abende am Prenzlauer Berg, der vollmundige Papenfuß-Gestus von Angriffslust und Anarchie, von Risikofreude und Piraterie, waren da etwas anderes. Die Übergänge zwischen Lesungen, Rockkonzerten, Ausstellungen oder Installationen waren fließend. Die Künstler des Prenzlauer Bergs – je nach Sichtweise »renitenter Avantgarde-Klüngel« oder »feindlich dekadente Kraft« – arbeiteten zusammen und waren auch nicht eindeutig einzelnen Kunstformen zuzuordnen. Papenfuß selbst war Rockmusiker, zunächst Bassgitarrist, Sänger, dann Texter. Mit Stefan Döring gründete er die Gruppe Der schwarze Kanal, später Rosa Extra. Erst Hardrock, dann Punkrock. Er schrieb Texte für Ornament & Verbrechen und arbeitete überhaupt viel mit dem Künstler und Bandgründer Ronald Lippok zusammen, dessen Zeichnungen ja – wie gesagt – auch den Band Rumbalotte durchziehen.
Mit Gedichten begann Bert Papenfuß schon sehr früh in den Siebziger Jahren.1977/78, als Zwanzigjähriger, dann erste Publikationen in Zeitschriften, 1985 mit harm. arkdichtung 77 die erste eigenständige Publikation. Große Aufmerksamkeit wurde dem Band dreizehntanz zuteil, den gleichzeitig der Aufbau-Verlag (1988, in Gerhard Wolfs legendärer Serie »außer der reihe«) und der Luchterhand-Verlag (1989) veröffentlichten. Im Jahr 1990, als ich Bert Papenfuß-Gorek zum ersten Mal im Café Kiryl hörte, erschienen die Gedichtbände SoJa, mit Zeichnungen von Wolfram Adalbert Scheffler (Druckhaus Galrev), tiské, mit Zeichnungen von A. R. Penck (Steidl Verlag) und Vorwärts im Zorn, mit Grafiken von Strawalde (Aufbau Verlag). Zugleich lagen schon zahlreiche originalgraphische Editionen vor, Texte im Zusammenspiel mit Zeichnungen, Siebdrucken, Radierungen, Lithografien. Überdies eine Vielzahl von Musikkassetten mit gesprochener und gesungener Literatur, 1990 auch die Ornament & Verbrechen-LPOn Eyes, mit Bert Papenfuß als Gast (Hidden Records). Die symbiotische Durchdringung von Poesie, bildender Kunst und Musik wird besonders anschaulich in dem gerade (wiederum bei Urs Engeler) erschienenen Papenfuß-Band Ation-Aganda, der fünf Gedichtzyklen aus den Jahren 1983-1990 enthält. Und zwar so, wie sie seinerzeit als Schreibmaschinen-Durchschläge kursierten, Typoskripte durchsetzt mit (zum Teil eigenen) Grafiken und Zeichnungen, dazu eine Audio-CD, auf der sich die Papenfuß-Texte mit DDR-Punk der Jahre 84 und 85 vereinigen.
Der Schwung der Prenzlauer Berg-Dichtung als Gesamtbewegung wurde durch die bekannten Stasi-Verwicklungen zentraler Figuren der Szene jäh gebremst. Und überhaupt hat sich viel verändert: Heute verbindet man Prenzlauer Berg mit Casting-Allee und Familienparadies, mit latte macchiato, serviert in Strandkörben (bald sicher Milchfläschchen pur, serviert in Buddelkästen). Ganz Prenzlauer Berg? Nein. Widerstand leistet etwas abseits die Torstraße, um die sich eine politisch und künstlerisch aufsässige Szene gebildet hat, in der das ehemalige Geflecht von Literatur, Musik, Malerei, Aktion und Revolution weiter gärt. Mittendrin Bert Papenfuß – und die Tanzwirtschaft Kaffee Burger, die er seit 1999 mitbetreibt und für die er das Kulturprogramm Salon Brückenkopf koordiniert. Und das, was das Kaffee Burger noch zu Ostzeiten genoss, als Thomas Brasch oder Klaus Schlesinger ein- und ausgingen, hat es sich schon lange wieder erobert: einen legendären Ruf.
Dabei war Bert Papenfuß schon die Neunziger Jahre hindurch weiter als Veranstalter aktiv: Unter dem Obertitel Sklaven Markt organisierte er Literaturabende, im – Sie ahnen es – weitesten Sinne, mal hier mal dort, abgestimmt auf die Inhalte der Zeitschrift Sklaven, die er seit 1994 mitherausgab. Aus Sklaven wurde – nach Spaltung der Redaktion 1998 – Sklaven Aufstand, seit 1999 der bereits erwähnte Gegner.
Vor allem aber entstanden viele Bücher: Unter anderem Led Saudaus, mit eigenen Zeichnungen (Janus Press 1991), nunft, mit Zeichnungen und Grafiken von Endart (Steidl Verlag 1992), die drei Bände naif, till, und harm (alle 1993 bei Gerhard Wolf Janus Press), mors ex nihilo, mit Zeichnungen von Jörg Immendorff (Druckhaus Galrev 1994), routine in die romantik des alltags, mit Zeichnungen von Helge Leiberg (Gerhard Wolf Janus Press 1995), TrakTat zum ABER (Gerhard Wolf Janus Press 1996),Berliner Zapfenstreich, mit Zeichnungen von A. R. Penck (BasisDruck Verlag 1996), SBZ – Land und Leute, mit Zeichnungen von Silka Teichert (Druckhaus Galrev 1998), hetze (Gerhard Wolf Janus Press 1998) und Haarbogensturz. Versuche über Staat und Welt, mit Zeichnungen von Tom Platt (BasisDruck Verlag 2001).
Übersichtlicher wird es auch in der näheren Gegenwart nicht: Noch vor Rumbalotte (wie gesagt 2005 bei Urs Engeler) erschien 2004 Rumbalotte Continua, in einem anderen Verlag, nämlich bei Peter Engstler. Rumbalotte Continua. 2. Folge wurde 2005 in einem nochmals anderen Verlag (Karin Kramer) veröffentlicht. Rumbalotte Continua. 3.Folge erschien 2006 dann wieder bei Peter Engstler, die 4. Folgeerneut bei Karin Kramer und die bislang letzte 5. Folge wiederum bei Peter Engstler. Ähnlich vielstimmig auch die Situation der Literaturzeitschriften, die Bert Papenfuß heute mitverantwortet: Neben dem Gegner noch Tor Tour, Floppy Myriapod und Zonic. – Der Beitrag, den Sie heute noch hören werden, erschien wiederum für eine andere Zeitschrift, den Zweifel.
Womit das Werk von Bert Papenfuß die Welt von früh an in den Bann schlug, waren nur einerseits die beschriebene Extrovertiertheit und seine Durchlässigkeit zu Rockmusik und Malerei. Es war andererseits der konzentrierte, unbestechliche, begeisterte Ernst im Umgang mit fremder Literatur, vergangener und gegenwärtiger. Bert Papenfuß war zu Hause in der verbesserung von mitteleuropa, im Futurismus, im Dadaismus, in der Wiener Schule, im Werk von Oskar Pastior, in dem Chlebnikows, in osteuropäischen Science Fiction-Romanen, in der an DDR-Schulen verpönten Barock-Dichtung. Thomas Kling sah ich zum ersten Mal im Café Kiryl.
Besonders gravierend war die Begegnung mit dem Werk Franz Jungs. 1980 erschien, bei Reclam Leipzig, der Band Der tolle Nikolaus, herausgegeben u.a. von Fritz Mierau. Der tolle Nikolaus vereinte in sich drei Dinge, die Bert Papenfuß sich auf seine Fahne zu schreiben plante: literarische Avantgarde, politischer Aktivismus und – eigener Aussage gemäß – eine gute Portion Altersskepsis. Franz Jung ist als Bezugspunkt und Kunstfigur im Papenfuß-Werk eine ubiquitäre Erscheinung. Auf dem besten Wege dazu ist auch ein Geistesverwandter Franz Jungs: der Autor Ernst Fuhrmann, an dessen penibel recherchierter Bio-Bibliographie Bert Papenfuß gerade (gemeinsam mit Alexander Hansen) arbeitet. Einblicke gab letztes Jahr bereits eine Sonderausgabe von TorTour, Zeitschrift für antiautoritäre Wissenskraft.
Noch ein aktuelles Beispiel: Seit 1990, als Kontakt zu einer norwegischen Theatergruppe bestand, interessiert Bert Papenfuß sich für norwegische Literatur – ein Interesse, das nun in der Übersetzung des Dichters und Rocksängers Terje Dragseth kulminiert. Übersetzt wird allerdings nicht einfach ins Deutsche, sondern in Berliner Dialekt im Wechsel mit Plattdeutsch. In beiden ist Bert Papenfuß, der 1956 in Reuterstadt Stavenhagen geboren wurde, ganz und gar zu Hause. Gleiches gilt für das lyrische Werk. Von Beginn an gehört der Dialekt zu seinen fundamentalen Strategien auf dem Weg zu einer Entsemantisierung, zu einer Dynamisierung, zu einer Revolution der Sprache.
Lesen und Schreiben, Rezeption und Produktion liegen im Werk von Bert Papenfuß virtuos dicht beieinander, sind verwoben auf rabiate und gleichzeitig zarte Weise. Karl Mickel sah das – und schrieb: »Berts Väter sind ehrwürdig. Von den Lebenden Jandl und Heissenbüttel. Der alte Arendt. Arno Schmidt. Kurt Schwitters. Welemir Chlebnikow. August Stramm, Hugo Ball. Lorenz Oken. Hölderlin. Klopstock als 60er. Die Sturm- und Drang-Twens. Die Zweite Schlesische Schule. Quirinus Kuhlmann.« Dabei liegt Mickels Ausgangspunkt eigentlich woanders. Er versucht, den jungen Bert Papenfuß, der damals noch Ton- und Beleuchtungstechniker am Theater war, in eine Tradition proletarischen Schreibens zu stellen, gemeinsam mit Wilhelm Tkaczyk und Bernd-Dieter Hüge. Was er dabei aber vor allem – anhand der Analyse eines frühen Gedichts – herausarbeitet, ist, wie gerade der Zugriff auf das Fremde, auf das literarische Erbe das ganz Eigene entstehen lässt. Das ganz Eigene – Karl Mickel sieht es im Papenfuß-Gedicht auf der Ebene der Wörter (eine »Emanzipation der Wörter«, die dem Duden Widerstand leistet), auf der Ebene der Grammatik (»Papenfuß ist ein Meister nicht-syntaktischer Grammatik.«) und auf der Ebene des Scherzes, des Rätsels: »Das Rätseln gehört zu den ältesten Vergnügungen der Menschheit; Rätsel sind, neben den Zaubersprüchen, poetische Ursubstanz. Die Scherze der Werktätigen, schriftlich aufgehoben von Archilochos und Aisop bis Tkaczyk und Papenfuß, begegnen forschend dem bösen, rufend dem guten Geschick.« Dieser letzte Punkt ist besonders originell und treffend, da Mickel im Begriff »poetische Ursubstanz« das Archaische (also Rätsel, Zaubersprüche) mit dem Ureigensten zusammenschweißt.
Von dieser »poetischen Ursubstanz« ist das Papenfußsche Werk getränkt, bis in die verborgensten Seiten. Sie hält die Werke zusammen, die Großschiffe, die Beiboote, die Unterseeboote, Rumbalotte, Rumbalotte Continua, Rumbalotte Continua II, III, IV und V, Ation Aganda, Gegner, Tor Tour, Floppy Myriapoda oder Zonic. Die »poetische Ursubstanz« hält die Flotte auf Kurs – und macht der Dichtung der Gegenwart, der Gegenwart überhaupt, der Dichtung überhaupt Ruhm und Ehre.
Lieber Bert Papenfuß, herzlichen Glückwunsch zur Eugen Viehoff-Ehrengabe der Schillerstiftung von 1895!“

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