Edith Anderson

Liebe im Exil

Erinnerungen einer amerikanischen Schriftstellerin an das Leben im Berlin der Nachkriegszeit

Herausgegeben von Cornelia Schroeder – Übersetzt von Christa und Clemens Tragelehn, Hardcover, 547 Seiten, 27 Fotos,  2007

ISBN 978-3-86163-129-3

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Edith Andersons Erinnerungen sind gleichermaßen Liebes-, Lebens- und Kulturgeschichte der Jahre 1947 – 1958.
Kühl, lebhaft, ironisch und selbstironisch – gegen die zunehmende Unkenntlichkeit jener Zeit geschrieben.

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Simone Barck:

Im allgemeinen autobiografischen Boom zur DDR ragt dieses Buch heraus. Nicht nur, weil es bereits seit Mitte der achtziger Jahre in Arbeit war und seine amerikanische Fassung bereits 1999 herauskam. Sondern weil es sich durch eine ganz besondere Perspektive auszeichnet. Es ist die einer amerikanisch-jüdischen, kommunistischen Journalistin, Übersetzerin und Autorin, die 1947 im Alter von 32 Jahren ihrem Mann, dem Cheflektor des Aufbau-Verlages Max Schroeder (1900-1958), nach Ost-Berlin folgte und hier bis 1996 lebte.

Es ist eine von Anfang an komplizierte „Liebe im Exil“, die sich in New York zwischen dem kommunistischen Kunstkritiker und deutschen Widerstandskämpfer Max Schroeder, 15 Jahre älter und gebeutelt von KZ, Verfolgung und materieller Misere, und der in den vierziger Jahren als Eisenbahnschaffnerin tätigen (eigentlich gelernten Lehrerin, aber auch Journalistin) Edith Anderson, entwickelt. Und es bleibt auch eine krisengeschüttelte „Liebe im Exil“ aus Ediths amerikanischer Sicht, in der SBZ und DDR.

Als sie sich entschließt, ihr geliebtes New York zu verlassen (nicht nur ihre Eltern, sondern auch die deutschen Emigranten wie zum Beispiel Gerhard Eisler halten sie für „verrückt“), geht es nicht nur um den Mann, dem sie folgt. Es geht vielmehr auch darum, an dem gesellschaftlichen Experiment Sozialismus in Nachkriegsdeutschland teilzuhaben. Und auf diese Weise werden Andersons Aufzeichnungen zu einem Rückblick auf die schwierigen Ausgangsbedingungen und die sie in vielem verwirrenden politisch-ideologischen sowie kulturell-künstlerischen Konstellationen in den fünfziger Jahren. Die Erinnerungszeit sind damit die für die DDR-Geschichte wohl repressivsten Jahre, der Kalte Krieg tobt. Das gewählte Erzählverfahren integriert geschickt, aber nicht allzu häufig spätere Erlebnisse.

Im Unterschied zu manchen autobiografischen Schriften, die nach dem Ende des sozialistischen Experiments auf deutschem Boden erschienen, die das Scheitern des Sozialismus als gesetzmäßig und zwangsläufig zu rekonstruieren suchen, macht es sich Anderson so leicht nicht. Ihr Fragen gilt dem „Warum“ des „immer wieder verzweifelten Wunsches des Gelingen-Mögens“ ebenso wie den Wurzeln der „organisierten Überheblichkeit“ in den kommunistischen Parteien. Sie präpariert die feinen Risse im Netz der gesellschaftlichen Umsetzungsbemühungen der sozialistischen Ideale. Sie präpariert die Brüche in der sozialistischen Bewegung, die totalitären Fehlentwicklungen in der SED, aber auch der eigenen amerikanischen kommunistischen Partei genau und detailliert heraus. Fern ab jeder Besserwisserei, aber zunehmend irritiert und empört ist sie dabei alles andere als eine Beobachterin, die nichts sieht.

Es ist gerade ihre natürliche Distanz als Ausländerin, die sie gegenüber der Mentalität der Nachkriegs-Deutschen in „Berlins Mondlandschaft“ erst nach und nach Verständnis aufbringen lässt. Anfangs fragte sie sich: „Mitleid mit ihnen? Hatten sie Mitleid gehabt? Jetzt die Harmlosen spielen. Da wollt ihr nur bluffen: was hast Du gemacht unter Hitler, wie viele Juden hast Du in die Gaskammer geschoben“. Aber da sind auch noch die „guten Deutschen“, wenngleich eine Minderheit, allen voran der Ehemann Max und Gleichgesinnte, vor allem die Emigranten (sehr aufschlussreich zeichnet sie die „feinen Unterschiede“ zwischen den West- und den Ost-Emigranten), aber auch in Deutschland gebliebene Antifaschisten, die mit viel Elan ein neues Deutschland aufbauen wollen. Für das Zusammenleben erweist es sich als negativ, dass Edith Anderson, statt ihren Roman zu schreiben, sehr bald in den Niederungen des aufreibenden Alltags zu ersticken droht. Trotz der Unterstützung durch wechselnde Haushaltshilfen, besonders auch als ihre gemeinsame Tochter im November 1948 geboren wird, empört sie sich (und zwar dauerhaft) sehr über die „Ungerechtigkeit, über die eine Frau jeden Tag ihres Lebens stolpert“.

Da sie nur wenig integriert ist in die angespannte Berufs- und Arbeitswelt ihres stets überlasteten Mannes, kommt es zu Krisen, als deren entscheidenden Punkt sie resümiert, dass sie wohl letztlich nicht zu verpflanzen sein würde auf deutschen Boden. Einige wichtige weibliche Freundschaften (zum Alma Uhse), ein intensiver Briefwechsel mit den Eltern und ihren amerikanischen Freunden, aber vor allem Lektoratsarbeiten sowie die Übersetzungsarbeit für die Internationale Demokratische Frauenföderation (IDFF) helfen ihr, nicht zu resignieren. Aber ein permanentes Heimweh bleibt: „Ich vermisste die jüdischen Gesichter, die mir New York so heimisch machten. Ich vermisste die schwarzen, braunen, die lateinamerikanischen und anderen fremden Gesichter, die mir immer in der U-Bahn begegneten, Gesichter hart arbeitender Menschen, die trotz Erschöpfung niemals achtlos andere Leute anrempelten im Gegensatz zu den gleichgültigen Deutschen“.

Der Radius ihrer Erlebnisse in diesen zehn Jahren bis 1958 umfasst vor allem die antifaschistische Kulturszene und ihre Akteure, die sie eindrücklich und männlich dominiert zu schildern weiß. Da erleben wir den legendären Kulturbund-Club in der Jäger-Straße in seiner Hochzeit, kulturelles Zentrum und Nachrichtenbörse zugleich. Wir sehen den Dichter-Staatsmann Johannes R. Becher, von vorne bekatzbuckelt und von hinten als „Eierbecher“ tituliert, bevorzugt auf einem erhöhten Platz auf einem Podium Platz nehmen. Nie sah sie ihn lächeln. Seine herablassende Art gegenüber Max Schroeder, der immerhin seine Bücher ediert hatte, ließ sie ihn als „aufgeblasenen Ochsenfrosch“ wahrnehmen. Jedoch erfährt er von ihr postume Gerechtigkeit, als 1988 in Sinn und Form seine aus dem Tagebuch seinerzeit gestrichenen Passagen zum Stalin-Terror veröffentlicht wurden. Denn er war ja nicht der einzige gewesen, der geschwiegen hatte. Alle hatten es gewusst und waren durch ein „verabredetes Stillschweigen zusammen geschweißt“.

Nur wenige hatten sich intern nicht ganz daran gehalten, wie zum Beispiel Erich Wendt, der legendäre Exil-Verleger und nun Leiter des Aufbau-Verlags. Er hatte Edith von seinem Englisch-Lernen in sowjetischer Haft erzählt, aber mehr auch nicht. Ihn und seine Frau Lotteken bewundert sie lange fast uneingeschränkt. Was jedoch hier vorlag, war ihr „ehrenhafte Vertuschung einer unehrenhaften Wahrheit“ als „kommunistische Ethik jener Tage“. Ihr unterlag als treues Parteimitglied auch Max Schroeder, als zum Beispiel sein bester Freund aus gefährlichsten illegalen Exil-Jahren Lex Ende in die Parteisäuberungen im Zusammenhang der Noel-Field-Affäre geriet. Da über „das Unerklärliche“ zu sprechen, bereits gefährlich war, wurde eben geschwiegen.

Immer wieder misst Edith, deren Dauerkonflikt zwischen Leben und Schreiben bestehen bleibt, die Entwicklung an den Idealen und konstatiert statt „klassenloser Gesellschaft“ das Walten einer Polit-Kaste, ein selbstherrliches Vorgehen von Partei- und Gewerkschaftsfunktionären, eine „alberne Propaganda“ und „herzlose Bürokratie“. Mit den deutschen Beamten, „der Spezies eines sturen, moralisch verkümmerten Staatsdieners, den kein politisches System je verändert hat“ stand sie zeitlebens auf besonderem Kriegsfuß. Mit dem frühen Tod Max Schroeders, der wie eine ganze Exil-Generation psychisch und physisch angeschlagen war, enden die Erinnerungen, die sich durch Originalität, Chuzpe, eine sensible Beobachtungsgabe sowie eine durchweg feministische Perspektive auszeichnen.

 

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/_buchrezensionen_nichtmehrgueltig/mit-fremden-augen-1.694344

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