Am 10. September 1989 unterschrieben 30 Oppositionelle in Grünheide bei Berlin den Aufruf Aufbruch 89 – NEUES FORUM mit ihrem Namen und ihrer Adresse. Der Text forderte die öffentliche Debatte über sämtliche Krisenerscheinungen der DDR-Gesellschaft. Er verbreitete sich spontan, blitzartig, wurde zur Initialzündung der demokratischen Revolution. Innerhalb von zwei Monaten unterzeichneten ihn mehrere hunderttausend Menschen – ebenfalls mit Namen und Adresse. Die landesweite Bürgerbewegung NEUES FORUM war die erste organisatorische Form, aus der sich die meisten der späteren politischen Parteiungen dann abspalteten. Die Chronik des NEUEN FORUM birgt die Urgeschichte des Jahres 1989 in Ostdeutschland – sie spiegelt Ansatz und Durchschlagskraft, Vielfalt und Zersplitterung, Größe und Grenze der damals praktizierten Demokratie wider.
Auszug:
Das Gründungswochenende: Ein Aufruf mit Folgen
Tatort Grünheide bei Berlin – 9./10. September 1989
Die Geburt des Neuen Forums an diesem Septemberwochenende des Jahres 1989 auf dem Grundstück Katja Havemanns in Grünheide bei Berlin ist gut vorbereitet. Im Holzhaus mit Blick zum Möllensee hat sich Bärbel Bohley schon seit mehreren Jahren eingerichtet, nach ihrer Rückkehr 1988 ist das Gartenhaus für sie nun gleichermaßen Arbeitsstätte und Zuhause.
Im Frühjahr waren als Gründungszeitpunkt noch die Tage nach dem 40. Jahrestag der DDR, dem 7. Oktober 1989, vorgesehen. Aufgrund der gewaltigen Fluchtwelle des Sommers wird das Gründungstreffen jedoch um vier Wochen vorverlegt.
Grünheide ist mit Bedacht gewählt, es ist der Ort des jahrelangen Hausarrestes für Robert Havemann und seine Frau Katja. Hier treffen sich auch nach 1982, dem Jahr seines Todes, immer wieder die verschiedensten Menschen aus Ost und West – es ist ein Knotenpunkt der Opposition und ein Entstehungsort so mancher Initiative.
Die Auswahl der Einzuladenden ist streng und konspirativ. Den ganzen Sommer fahren Bärbel Bohley und Katja Havemann durch die DDR, sprechen gezielt …
Irena Kukutz, geb. 1950, Keramikerin, gehörte 1982 in der DDR zu den Gründerinnen der Gruppe Frauen für den Frieden, 1989 war sie Mitbegründerin des NEUEN FORUM, 1990 – 1995 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Gruppe NEUES FORUM/Bürgerbewegung, lebt und arbeitet als Dokumentaristin in Berlin.
Irena Kukutz hat mit Unterstützung der Deutschen Nationalstiftung den gesamten schriftlichen Nachlaß der Bürgerbewegung aufgearbeitet und legt mit dieser Chronik den ersten sachgerechten Bericht von der Gründungsgeschichte seit 1988 bis zum 3. Oktober 1990 vor.