Michael Beleites

Untergrund

Ein Konflikt mit der Stasi in der Uran-Provinz

BasisDruck Dokument d5, Broschur, 274 Seiten, 135 Fotos und Dokumente, 1992

ISBN-10: 3-86163-044-3, ISBN-13: 978-3-86163-044-9

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Michael Beleites hat 1988 mit seiner Dokumentation »Pechblende« die Umwelt- und Gesundheitsgefahren des sowjetisch-deutschen Uranbergbaus in der DDR öffentlich gemacht.

 

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DER SPIEGEL 42/1991:
Unter strikter Konspiration

Geheime Stasi-Dokumente belegen, wie in der DDR kritische Umweltschützer mundtot gemacht werden sollten

Wenn Michael Beleites, 27, aus dem thüringischen Gera wissen will, was für einer er eigentlich ist, dann schaut er in seine Stasi-Akte: „Schlanke Gestalt, Ansatz zur Wirbelglatze, auffallend spitze Nase, leicht schaukelnder Gang.“ Die Stasi-Kreisdienststelle Hohenmölsen ergänzte: „Charakterlich ist der B. sehr willensstark . . . im gewissen Rahmen sporadisch und unberechenbar.“ Detailliert geben die Spitzelberichte von einst auch Auskunft über den Beleites-Tagesablauf, etwa am 20. Februar 1988:
“ 12.51 Uhr betraten Beleites und die Freyer, Astrid “
“ gemeinsam die Raststätte Hermsdorfer Kreuz. 14.50 Uhr “
“ führten sie eine angeregte Unterhaltung und nahmen “
“ Speisen und Getränke zu sich. “

Auf der Transitstrecke hätten sich Beleites und Freyer, vermerkt der Bericht, mit zwei westdeutschen Umweltschützern getroffen und sich dann „zu dem abgeparkten Trabant“ begeben. Die Gäste aus München, so der Stasi-Bericht, hätten vor der Rückfahrt noch den Intershop aufgesucht.

Die besondere Aufmerksamkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verdankte Beleites einer aufsehenerregenden Umweltstudie. Unter dem Titel „Pechblende“ hatte er 1988 erstmals die Folgen des „Uranbergbaus in der DDR“ publik gemacht.

Zusammen mit dem Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg und dem Ost-Berliner Arbeitskreis „Ärzte für den Frieden“ hatte Beleites Fakten über die radioaktive Verseuchung und über strahlenbedingte Gesundheitsschäden in der südlichen DDR zusammengetragen. Gedruckt wurde das Papier im evangelischen Jungmännerwerk in Magdeburg.

Die Öko-Studie beschrieb auf 64 Seiten auch die weitgehend geheimgehaltene Produktion von Urankonzentrat. Der Stoff für Bomben und Atomreaktoren wurde in den thüringischen und sächsischen Anlagen der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut (SDAG Wismut) hergestellt.

Mit seiner Öko-Arbeit riskierte der gelernte zoologische Präparator Beleites einige Jahre Haft in Bautzen. Denn die Uranerzanlagen der Wismut waren in der DDR ein Tabuthema. In einer geheimen Verschlußsache vom Januar 1982 hatte MfS-Chef Erich Mielke befohlen, „unter strikter Konspiration“ die Abwehr „feindlich-negativer Angriffe“ gegen die 200 „sowjetischen Spezialisten“ bei der Wismut sicherzustellen.

Dazu sei, so Mielke, auch mit dem sowjetischen Geheimdienst KGB „aufgabenbezogen und kameradschaftlich zusammenzuarbeiten“. Allein 59 hauptamtliche MfS-Mitarbeiter der Abteilung Wismut in Karl-Marx-Stadt kümmerten sich um den Großbetrieb der sozialistischen Waffenbrüder.

Dem Wismut-Kritiker Beleites blieb gleichwohl der Knast erspart. Die Staatssicherheit wollte den Verfasser des „Machwerks“ über die „angeblich menschen- und umweltfeindliche Politik eines sozialistischen Staates“, wie es im Dossier hieß, auf noch perfidere Weise treffen – durch Existenzvernichtung.

„Die Organisierung des beruflichen Mißerfolgs war eine beliebte Variante“, beschreibt Joachim Gauck, 51, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Stasi-Akten, diese Strategie. Warum Beleites seine Arbeitsstelle im Naturkundlichen Museum Gera verlor und unter ständiger Observation stand, warum seine Reisefreiheit eingeschränkt wurde – all das kann Beleites heute detailliert nachvollziehen.

Vergangenes Jahr erhielt er Einblick in seine Stasi-Akte, die in Gera noch vorhanden war. Für Beleites war es „ein aufregender Moment“, obwohl seine Hauptakte von „einem halben Meter“ kurz nach der Wende vernichtet worden war.

Ein ehemaliger Abteilungsleiter des MfS sekundierte bei der Übersetzung der zahlreichen Stasi-Abkürzungen. „Mir wurde zunehmend schlecht“, erinnert sich Beleites an die erste Lektüre, „wie Menschen, die soviel über mich wußten, zu so schwachsinnigen Interpretationen kommen konnten.“

In einem neuen Buch* beschreibt Beleites den Konflikt der Stasi mit Umweltkritikern in der DDR. Dazu befragte er auch Stasi-Mitarbeiter der Hauptabteilung XX, die für die „Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit“ und auch die Kirchen zuständig war.

Beleites gelang es, jenen Stasi-Mann zu sprechen, der ihn jahrelang überwacht hatte und der ihm einen „schönen Gruß“ von seinem Chef bestellte. Der Autor traf sich sogar mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des MfS in den Umweltgruppen, die ihn verpfiffen hatten.

Einige der MfS-Mitarbeiter, die heute als Altenpfleger, Pförtner oder Versicherungsvertreter arbeiten, schrieben für das Bewältigungsbuch kurze Beiträge. So bekennt der ehemalige Leiter der Stasi-Bezirksverwaltung Gera, Horst-Jürgen Seidel, daß es aus „heutiger Sicht falsch war, nicht auf ,oppositionelle Kräfte“ zuzugehen“. Seidels Stellvertreter, Major Reiner Markgraf, weiß mittlerweile, daß die Wismut und das Staatliche Amt für Atomsicherheit- und Strahlenschutz (SAAS) in Berlin ihre „Kontroll- und Überwachungspflichten grob vernachlässigt“ hätten.

Zu DDR-Zeiten hatten die Stasi-Offiziere ganz anders geurteilt. Die Uran-Studie habe, so ein Stasi-Bericht von 1988, mit „falschen Aussagen“ die „Effektivität der SDAG Wismut“ diffamiert. Überdies habe das Papier der „Friedenspolitik der Sowjetunion Schaden“ zugefügt, weil in westlichen Pressemedien Artikel mit „unhaltbarem und verleumderischem Inhalt über angebliche Gesundheitsgefährdungen in den Bergbaugebieten“ erschienen seien. _(* Michael Beleites: „Untergrund – Ein ) _(Konflikt mit der Stasi in der ) _(Uran-Provinz“. Verlag Basisdruck, ) _(Berlin; 276 Seiten; 19,80 Mark. ) Um die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Umweltschützer zu „zersetzen“, griff die Stasi zu bewährten Mitteln. Durch eine „gezielte Eingabetätigkeit“ an das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg sollte „fehlende Wissenschaftlichkeit des Pamphlets“ nachgewiesen und der Verfasser als „Scharlatan“ entlarvt werden.

Wenig später urteilte der Chefarzt der Radiologischen Klinik in Gera und IM, Awram Schawow, im Einklang mit der Stasi-Vorgabe, die Umweltstudie sei „unnützlich, unbegründet, schädlich“. Aus der Sicht des Ärztlichen Direktors des Bezirkskrankenhauses in Gera, Hans-Peter Kinzl, war die Studie „tendenziös“ und in der Einschätzung des Strahlenrisikos „nicht zutreffend“.

Die Hygiene-Inspektion behauptete, gestützt auf Daten aus der SDAG Wismut, „daß Schäden des Erbgutes und des keimenden Lebens bei einer Strahlenbelastung durch Uran und seine Zerfallsprodukte nicht festzustellen“ seien.

Der Vizepräsident der DDR-Atombehörde SAAS, Hans Scheel, schrieb in einer Einschätzung für die Stasi, daß die „gesamte Darstellung im Zusammenhang mit der Hetzkampagne gegen die SDAG Wismut“ zu sehen sei. Inzwischen ist der DDR-Atomexperte in die Gesellschaft für Reaktorsicherheit, höchstes Kontrollgremium für die deutschen Nuklearanlagen, übergewechselt.

Karriere haben auch andere Manager der Wismut AG gemacht. So ist der heutige Leiter der Wismut-Abteilung „Sanierungsvorbereitung“, Karl-Heinz Eife, 57, Mitverfasser eines 1000-Seiten-Gutachtens für das Bundeswirtschaftsministerium.

Damals fungierte Eife als Technischer Direktor der Aufbereitungsanlage Seelingstädt der SDAG Wismut und war, einer mittlerweile aufgefundenen Karteikarte zufolge, Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi.

Zu DDR-Zeiten meldete Eife, der seine IM-Tätigkeit heute leugnet, daß alle „vorgegebenen Belastungsgrenzwerte unterschritten“ würden. Den Atomkritiker Beleites ermahnte er 1989, keine weiteren „verleumderischen Veröffentlichungen zu tätigen“.

Auch Dieter Hitzig, heute Vorsitzender der Geschäftsleitung der Uranfabrik Seelingstädt, sah 1988 keinerlei Notwendigkeit, die Bevölkerung gegen radioaktiven Staub aus den Schlammseen bei Oberrothenbach zu schützen. Die Zone sei, so der Wismut-Manager, „schließlich kein Erholungsgebiet“. Auch diese Einschätzung fand sich prompt in den Stasi-Akten gegen Beleites wieder.

Die Umweltkritiker der alten DDR werden wohl auch künftig bei ihrer Arbeit alte Bekannte treffen. Der Leiter des Nationalen Krebsregisters in Ost-Berlin etwa, Wolf Heiger Mehnert, hat noch 1988 versucht, die Angaben der Beleites-Studie über Krebserkrankungen in der Uran-Provinz „ad absurdum“ zu führen. Mittlerweile zählt Mehnert zu den Mitarbeitern des Berliner Bundesgesundheitsamtes; Anfang dieses Jahres meldete er beim Bonner Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) „Forschungsbedarf“ an, da „möglicherweise strahlenbedingte Lungenkrebserkrankungen“ in der Ex-DDR zu untersuchen seien.

Einige Stücke des strahlenden Materials aus Wismut fanden ihren Weg bis ins Politbüro. Als Geburtstagsgeschenk für den SED-Vorsitzenden Erich Honecker überreichten Vertreter der Wismut mehrmals Mineraliensammlungen – darunter auch Pechblende.

 

 

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