Paul Frölich

Im radikalen Lager

Politische Autobiographie 1890-1921

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Reiner Tosstorff / In Kooperation mit dem IISG Amsterdam, Deutsche Erstveröffentlichung – Hardcover und Schutzumschlag, mit 25 Abbildungen und einem Textanhang, 416 Seiten, 2013

ISBN 978-3-86163-147-7

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Paul Frölich schildert die Vorgeschichte des deutschen Parteikommunismus in der SPD aus eigenem Erleben und Engagement. Die Selbstbezeichnung als »Linksradikale« wurde vor 1914 von den Bremer Linken für alle revolutionär orientierten Kräfte in der SPD gebraucht – sie verstanden sich als linker Flügel der »Radikalen« innerhalb der Sozialdemokratie. Der Weltkrieg und die Revolution in Russland zersprengte die deutsche Arbeiterbewegung in vier große Parteien. Frölichs Autobiographie führt mitten hinein in den politischen Strudel dieser ersten deutschen Nachkriegszeit.

BasisDruck legte mit den Erinnerungen Hermann Knüfkens eine unbekannte Quelle zur Entstehung der KAPD vor, mit Paul Frölichs Text jetzt das Paralellstück zur Frühgeschichte der KPD.

„Ich stelle fest, daß das Präsidium es zugelassen hat, ohne den Kongreß zu fragen, daß der Genosse Sinowjew ¾ Stunden sprach, darauf Genosse Trotzki eine volle Stunde gegen die sogenannte Linke. Ich stelle fest, daß der Antrag der amerikanischen Delegation [auf Ende der der Debatte] vorgelegen hat, ehe Genosse Trotzki das Wort bekam. Ich bin der Meinung, wenn hier der Kongreß nicht aussprechen will, daß die Linke vergewaltigt werden soll, daß dann unbedingt die Debatte weitergehen muß.“
Paul Fröhlich auf dem III. Kongreß der Kommunistischen Internationale, 1921 in Moskau.

„Wir Älteren haben Zeiten mächtigen Aufschwungs gesehen, haben Triumphe erlebt und haben daraus einen Optimismus gewonnen, der nicht erschöpft werden konnte. Die Jüngeren aber kamen in eine Zeit schlimmster Reaktion hinein. Sie erlebten alle Enttäuschung, alles Negative, alles Bedrückende einer Kette schwererer Niederlagen. Schließlich erlebten sie eine Kapitulation, wo sie den Entscheidungskampf erwartet hatten, den Niederbruch einer moralischen Kraft, auf deren Unbesiegbarkeit sie vertraut hatten.“
Paul Fröhlich, Gedenkrede für Heinz Behrendt, 1945 New York.

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Rezension von Ottokar Luban (Berlin) in The International Newsletter of Communist Studies XiX (2013), no. 26:

Wer dachte, dass zur sozialistischen Arbeiterbewegung des frühen 20. Jahrhundert alle wesentlichen Zeugnisse von Beteiligten erschlossen bzw. veröffentlicht worden sind, wird durch die hier vorgelegten Biografiefragmente eines Besseren belehrt.

Die Teilautobiografie des sozialdemokratischen und später kommunistischen Journalisten Paul Frölich, Mitglied der KPD-Zentrale vom Gründungsparteitag Ende 1918 bis 1924, war Mitte der 1930er Jahre im Auftrag des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam verfasst und dort 1938 vom Autor abgeliefert worden. Das deutschsprachige Manuskript ist erst 2007 in den reichhaltigen Amsterdamer Archivbeständen wiederaufgefunden und bisher nur auf Italienisch und nunmehr auf Französisch gedruckt herausgebracht worden.

Der vielseitige, fundierte Journalist Paul Frölich konnte bei der Abfassung seiner Memoiren sozusagen aus dem Vollen schöpfen. Hatte er doch nicht nur in den 1920er Jahren, sondern auch Mitte der 1930er Jahre im Pariser Exil bei der Abfassung der ersten wissenschaftlichen Rosa-Luxemburg-Biografie sich intensiv mit der Entwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegung der vorangegangenen Jahrzehnte befasst. Gleichzeitig konnte er dabei sein Insiderwissen als zeitweise an führender Stelle mitwirkender Parteipolitiker einbringen. Doch auch die allein auf seinen persönlichen Erinnerungen beruhende einfühlsame Schilderung seiner Kindheit und Jugendzeit in einem sozialistischen Elternhaus in Leipzig als zweites von elf Kindern, seine intensiven Bildungsbemühungen neben der beruflichen Ausbildung und Erwerbstätigkeit, seine ersten Schritte in der Leipziger SPD zeugen von seinem journalistischen und schriftstellerischen Können, wobei die familiären und sozialen wie politischen Verhältnisse im Leipzig in dem Jahrzehnt vor und nach der Jahrhundertwende anschaulich geschildert und genau analysiert werden.

Dabei geht Frölich intensiv auf den Differenzierungsprozess der Linken in der SPD während des Krieges ein und distanziert sich teilweise vom linksradikalen Kurs der Bremer Gruppe. Interessant ist dabei die Überlieferung eines Ratschlages Lenins an den informellen Leiter der Bremer Linksradikalen Johann Knief, die oppositionellen Kräfte sollten so lange wie möglich in der SPD bleiben.

Großen Raum nehmen die Revolutionswochen in Hamburg ein, die Frölich als Redakteur miterlebte, genauso die Konferenzen der Bremer Linksradikalen mit ihren Anhängern aus anderen Städten (unterdessen unter der Bezeichnung „Internationale Kommunisten Deutschlands“, IKD) im Dezember 1918 und der folgende Gründungsparteitag der KPD in Berlin. Die Schilderung der beiden Konferenzen der IKD, über deren Verlauf bisher wenig bekannt geworden war, enthält viele neue Erkenntnisse, darunter, dass die Mitgliederbefragung in fast allen Orten eine eindeutige Ablehnung einer Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung ergab.

Während Frölich wenig über die Januarkämpfe 1919 in Berlin berichten kann, da er in dieser Zeit in Hamburg weilte, gibt er viele Eindrücke vom KPD-Gründungsparteitag wieder. Ausführlich geht er auch auf die Märzkämpfe 1919 in Berlin und die Münchener Räterepublik, die desolate Lage der 1919 sowie Anfang 1920 meist verbotenen und damit gezwungenermaßen illegal agierenden KPD, die Parteispaltung im herbst 1919, die Entwicklung der KPD in der Folgezeit bis zum Kapp-Putsch, die Haltung der Parteizentrale zum diesem, die Auseinandersetzungen mit der Komintern um die Bedeutung der KAPD, die Vereinigung mit der USPD, die Märzaktion 1921 und die folgenden Diskussionen in der Partei einschließlich der Behandlung der Märzaktion in der Komintern. Damit endet das umfangreiche Manuskrift ziemlich abrupt.

Frölich beleuchtet eingehend die vielfältigen Aspekte jedes Themas und liefert dazu eine Fülle von wertvollen Informationen. Er geht dabei anschaulich und differenziert auf die handelnden Akteure ein, wobei er mit wohlbegründeter Selbstkritik am eigenen Handeln nicht spart. Besonders widmet er sich den Persönlichkeiten Leo Jogiches‘ und – sehr kritisch – Paul Levis, den Nachfolgern der ermordeten KPD-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Frölichs Schrift wird durch ein Vorwort des Herausgebers eingeleitet und durch eine Kurzbiografie mit Aufzählung von wichtigsten Schriften des Autors sowie einem Glossar der erwähnten Parteinamen und einem Personenindex ergänzt.

 

F.A.Z., Mittwoch den 12.11.2014 Geisteswissenschaften N3:

Memoiren eines Linken
Gedanke und Tat

Der 1887 geborene Boris Nikolajewski war schon in den dreißiger Jahren eine Art grauer Eminenz des russischen Exils in Paris. Aus dem 150 Kilometer westlich des Urals gelegenen Ufa stammend, gehörte er der menschewistischen (eher sozialdemokratischen) Partei an und galt als exzellenter Kenner des marxistischen Schrifttums. Nikolajewski, der zutiefst in den Kampf gegen die Totalitarismen der Zwischenkriegszeit involviert war, gelang es 1933, Teile des Berliner SPD-Archivs mit bis dahin unveröffentlichten Werken von Karl Marx und Friedrich Engels vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen.

Im Frühjahr 1936, wenige Monate vor dem Beginn des ersten Moskauer Schauprozesses, traf er in Paris Nikolai Bucharin, den bedeutendsten in Moskau noch in – schon überwachter – Freiheit lebenden Gegner Stalins. Auch korrespondierte Nikolajewski mit Intellektuellen und Oppositionellen, die aus dem faschistischen Italien, dem Jugoslawien der Königsdiktatur oder aus NS-Deutschland geflohen waren. Unter seinen Ansprechpartnern waren Schriftsteller wie Ignazio Silone und Romain Rolland, Wortführer der politischen Linken wie der kroatische Kommunist Ante Ciliga oder der aus Sachsen stammende Paul Frölich. Um ihren Wert als Zeitzeugen der zurückliegenden Periode sozialer Kämpfe wissend, bat Nikolajewski sie im Auftrag des Amsterdamer Internationaal Instituut voor Sociaale Geschiedenis (IISG) um kurze autobiographische Skizzen. Die Beiträge, vorgesehen waren zehn Druckbogen pro Autor, sollten jeweils mit dreißig Gulden vergütet werden.

Von Paul Frölich erhielt Nikolajewski eine Skizze des Vorhabens. Sein Ziel sei es, „die Atmosphäre zu zeichnen, in der sich die Ereignisse abspielten und politische Entschlüsse getroffen wurden“. Die Protagonisten werde er so darstellen, „wie ich sie gesehen habe“. Damit ist auch schon beschrieben, was die Stärke des Bandes ausmacht. Frölich hielt sich an die Vorgaben Nikolajewskis ebenso wie an die selbstgewählte Darstellungsform; bei der Anzahl der Seiten erfüllte er dann ein Übersoll (Paul Frölich, Im radikalen Lager. Politische Autobiographie 1890–1921. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Reiner Tosstorff. In Verbindung mit dem IISG Amsterdam, Berlin Basisdruck Verlag 2013).

Der besondere Wert der Publikation rührt daher, dass Autobiographien kommunistischer Parteiführer aus der Zwischenkriegszeit eine Seltenheit blieben. Die Rastlosigkeit einer politischen Tätigkeit am Rande der Legalität, die Gefängnis- oder Lagerhaft und das oft von materieller Not gekennzeichnete Exil ließen es nicht zu, dass viele Memoiren entstanden wären, die sich mit denjenigen Frölichs messen könnten.

Leider blieb auch dieses Werk unvollendet – Frölichs eigene Darstellung behandelt die Jugend- und Revolutionserinnerungen bis zum Krisenjahr 1921. Doch sorgt der Herausgeber mit einem ausführlichen Nachwort dafür, dass die Rolle Frölichs als Parteiführer und Journalist deutlich wird. Dies gilt auch für die letzte Phase vor dem Einsetzen der Korrespondenz mit Nikolajewski. Ende der zwanziger Jahre aus der KPD ausgeschlossen, war Frölich bald der neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) beigetreten.

Seit geraumer Zeit auch als Herausgeber der Werke Rosa Luxemburgs bekannt, verfasste Frölich im französischen Exil eine Biographie, deren erste Ausgabe mit dem Titel „Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat“ im August 1939 wenige Tage vor Kriegsausbruch erschien. Das Buch führte über die bis dahin vorliegenden biographischen Skizzen von Luise Kautsky und Henriette Roland-Holst hinaus, auch wenn Frölich im Vorwort betonte, als ideale Luxemburg-Biographin wäre eigentlich nur Clara Zetkin in Frage gekommen. Doch habe sich diese „bis zu ihrem Tode im Jahre 1933 ganz dem täglichen Kampfe ergeben“ und immer wieder versichert, gerade dadurch die Verpflichtung einzulösen, „die sie der gefallenen Kampfgenossin gegenüber empfand“.

Während die Luxemburg-Biographie mehrere Neuauflagen erfuhr und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde, entdeckten die Archivare des IISG Frölichs lange verschollen geglaubtes Memoirenmanuskript aus den dreißiger Jahren erst 2007 wieder. Die Autobiographie liest sich wie ein Vademekum der Arbeitergeschichte und insbesondere des sozialistischen Journalismus in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Willy Brandt, der viele Publikationen Frölichs kannte, attestierte dem Autodidakten ein „bemerkenswertes Sprachempfinden“. Packend sind seine Porträts von Persönlichkeiten wie Franz Mehring, Karl Radek, Leo Jogiches oder Paul Levi. Mitten im Krieg war Frölich von Paris aus über Marseille und Martinique nach New York gelangt. Er kehrte 1950 zurück und lebte in Frankfurt am Main, wo er wie viele alte Sozialisten und Kommunisten zuletzt wieder der SPD angehörte und auf dem Hauptfriedhof begraben liegt.
Rolf Wörsdörfer

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